Offener Brief des Oberbürgermeisters an Thüringens Verkehrsminister Carius

19.01.2011 16:02

Seit Wochen fordern die Thüringer Städte und Gemeinden Unterstützung vom Freistaat zur Beseitigung der witterungsbedingten Schäden an den Straßen. Bislang wurde der Hilferuf nahezu ignoriert. Deshalb wandte sich Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein heute mit einem offenen Brief an Thüringens Verkehrsminister Christian Carius.

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Minister Carius,

mit großer Verwunderung nehme ich seit Wochen Ihre Äußerungen in den Medien zum Thema Winterschäden auf kommunalen Straßen zur Kenntnis. Ihr Zitat in der heutigen Ausgabe der Thüringer Allgemeine, die Landeshauptstadt habe ja "für den Winterdienst so gut wie nichts ausgegeben und sollte daher Geld zum Füllen der Schlaglöcher übrig haben", erstaunt mich und veranlasst mich, diesen offenen Brief an Sie zu schreiben.

Offenbar sind Sie durch Ihre Mitarbeiter über die reale Situation nicht informiert worden! Die Landeshauptstadt Erfurt gibt jährlich für den Winterdienst 1,67 Mio. EUR aus. Dabei handelt es sich um die Leistungen, die per Vertrag von der SWE Stadtwirtschaft GmbH erbracht werden. Zudem haben Stadt und Stadtwirtschaft in den zurückliegenden Wochen mehrere Baufirmen und Agrargenossenschaften zusätzlich beauftragt, um Wege und Straßen zu beräumen sowie die Schneemassen aus der Innenstadt und den Wohngebieten abzutransportieren. Dadurch sind weitere Kosten in Höhe von rund 200.000 EUR entstanden – finanzielle Verpflichtungen, die im Haushalt nicht vorhanden waren. Darüber hinaus wurden sämtliche verfügbare Mitarbeiter des Straßenbetriebshofes und des Garten- und Friedhofsamtes zur Schneeberäumung eingesetzt. Wir haben also nichts eingespart!
Auch Ihre öffentliche Nachricht, das Land wolle die Kommunen beim Transport der Schneemassen aus den Gemeinden finanziell unterstützen, scheint nur bedingt belastbar. Unser eingereichter Antrag auf Unterstützung wurde vom Landesamt für Bau und Verkehr jedenfalls abgelehnt.
Ihre jüngste Befürwortung zur Einführung einer Pkw-Maut auf Autobahnen ist aus meiner Sicht eine Schattendiskussion, um vom wahren Kern des Problems abzulenken.
Seit Jahren zieht sich der Freistaat systematisch aus der Verantwortung, indem er Aufgaben an die Kommunen abwälzt. Dazu zählt auch die Übertragung von Bundes- und Landesstraßen in die Baulast der Kommunen. Um so mehr verwundert Ihre Schlagzeile vom 8. Januar dieses Jahres in der Thüringischen Landeszeitung: "Wer Straßen hat, muss auch dafür sorgen". Allein im Jahr 2009 hat der Freistaat rund 10 km Landes- und Bundesstraßen in die Verantwortung der Landeshauptstadt Erfurt abgegeben – gegen unseren Willen.
Rufen wir uns die Einführung der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen in Erinnerung, so wissen wir, dass es sich dabei um einen nahezu fünf Jahre währenden Prozess handelte. Wollten wir diese Zeit warten, wären viele unserer Straßen gänzlich unbefahrbar! Zudem würde eine Pkw-Maut auf Autobahnen den kommunalen Haushalten auf direktem Wege nichts einbringen. Auch sollten wir nicht außer Acht lassen, dass für unsere Autofahrer bei einem Benzinpreis von derzeit über 1,50 EUR die Grenze der Belastbarkeit erreicht ist.
Besser könnten die finanziellen Mittel für die Anschaffung von Maut-Systemen gleich in die Unterhaltung der Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Denn viel Zeit zum Handeln bleibt uns nicht mehr. Noch haben wir Spielraum und können unsere Straßen mit einer umfassenden Deckensanierung in einen für Jahre sicheren Zustand versetzen. Schieben wir die dringend notwendigen Maßnahmen weiter vor uns her, setzen sich die Schäden in die Tiefe fort und zerstören unsere Straßen grundhaft.
Sehr geehrter Herr Minister Carius,
ich appelliere nachdrücklich an Sie, Ihre Einstellung zur Straßensanierung und -finanzierung im kommunalen Bereich zu überdenken. Bitte sehen Sie sich den Kommunen gegenüber in Pflicht und Verantwortung und leiten Sie Maßnahmen und Programme ein, die sinnvoll und praktikabel sind. Im Hinblick auf Verkehrssicherheit und nachhaltige Wertschöpfung der Infrastruktur muss der Instandsetzung unserer Straßen oberste Priorität eingeräumt werden. Der Hilferuf der Kommunen darf nicht ungehört verhallen. Ich bekräftige daher die Forderung nach einem Bund-Länder-Programm und setze auf ein Umdenken Ihrerseits – nicht zuletzt auch in Anbetracht der finanziellen Nöte der Kommunen, deren Ursache unter anderem in den ständig steigenden Pflichtausgaben begründet ist.
Um eine Lösung dieses wichtigen Problems nicht durch weitere Äußerungen über die Medien zu zerreden, bin ich gern zu einem klärenden Gespräch bereit.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Bausewein