Nachhaltigkeit in der Mobilitäts- und Stadtentwicklung

19.09.2011 15:41

Rund 140 Fachbesucher kamen zum erstmals stattfindenden Kongress cie-mo 2011 – Nachhaltigkeit in der Mobilitäts- und Stadtentwicklung nach Erfurt. Initiator des Kongresses ist die Impulsregion Erfurt-Weimar-Jena. Nachhaltige Mobilität stellt nicht nur die Automobilindustrie vor große Herausforderungen. Auch Städte und Kommunen müssen in ihren Entwicklungen und Planungen den Faktor Mobilität integral mitdenken, will man den urbanen Verkehr fit machen für die Zukunft.

"Die Impulsregion Erfurt-Weimar-Jena will sich im Dialog mit Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als eine der ersten kommunalen Arbeitsgemeinschaften der Herausforderung Elektromobilität stellen", sagte Stefan Wolf, Oberbürgermeister der Stadt Weimar und Vorsitzender der Impulsregion. "Der Kongress cie-mo soll dafür eine lebendige Diskussionsplattform und innovativer Ideengeber sein."  

Prof. Rolf Kreibich, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Institutes für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), forderte ein integriertes Mobilitäts- und Verkehrsmanagement, um die dramatischen Verkehrsprobleme wirklich nachhaltig zu lösen. "Wenn wir hier nicht im System denken, das die verschiedenen Verkehrsträger zusammenführt, werden wir aus dem Chaos nicht herauskommen", so seine eindringliche Forderung. Der Berliner Zukunftsforscher kritisierte dabei das Fehlen langfristiger Konzepte. "Wenn Unternehmen von Langzeit ‑ Strategien sprechen, meinen sie die nächsten drei bis fünf Jahre. Und auf politischer Ebene wird nur in Legislaturperioden gedacht. Nachhaltige Verkehrskonzepte sind in diesen Zeitfenstern jedoch nicht möglich."  
Dass Elektromobilität gerade auf kommunaler Ebene völlig neue Geschäftsfelder eröffnet, zeigte Nicky Traue von der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers. Allerdings bedarf es dafür neuer Kooperationen, da sich für Stadtwerke und Energieversorger nur der zusätzliche Stromverkauf für die Elektromobilität nicht rechnet. "E-Mobilität allein ist bislang kein attraktives Geschäftsfeld für kommunale Versorger und Stadtwerke, aber sie kann als eine Art Hebel genutzt werden zur Förderung mittelständischer Unternehmen und zur Reduktion von Lärm und Schadstoffemissionen." 
Prof. Andreas Knie vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ), an dem auch die Deutsche Bahn beteiligt ist, sieht auf absehbare Zeit keinen Kaufmarkt für Elektromobilität. "Auf eine Kostendegression braucht man in den nächsten Jahren nicht zu warten. Woher sollte die kommen, wenn die entsprechenden Stückzahlen nicht da sind?" Um E-Fahrzeuge trotzdem stärker in den Markt zu bringen, setzt man beim InnoZ auf neue Verbindungen von Individual- und öffentlichem Nahverkehr. "Die geringere Reichweite eines E-Autos ist kein Problem, wenn wir eine Infrastruktur haben werden, in der Bahn und Elektromobilität aufeinander abgestimmt sind." 
Dass Elektromobilität die urbanen Zentren auch mit ganz praktischen Herausforderungen konfrontiert, zeigte Dr. Friedrich Blutner, einer der führenden Sound-Experten in Deutschland. "In Berlin klagen etwa 200.000 Menschen über Schlafstörungen aufgrund von Verkehrslärm. Weil Elektromobilität nahezu geräuschlos ist, bringt sie nicht nur mehr Klimaschutz sondern auch mehr Lebensqualität." Aber: wenn E-Mobile im Straßenverkehr von Fußgängern und Radfahrern nicht mehr gehört werden, stellt sich die Frage, ob die lautlosen Flitzer einen eigenen Sound brauchen. "Hier stehen wir noch ganz am Anfang der Forschung. Der aktuelle Vorschlag der EU, dass E-Autos so laut sein sollen wie konventionelle Fahrzeuge bei einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern, ist sicherlich noch nicht der Weisheit letzter Schluss." 
Damit Kommunen wirklich klimafreundlicher werden, forderte Prof. Manfred Miosga von der Bayreuther KlimaKom einen verbindlichen Fahrplan für die Bereiche Energieversorgung und Mobilität. Der Wissenschaftler untersucht seit Jahren Erfolgsfaktoren für ein integriertes Klimaschutzmanagement.
Als ein innovatives Beispiel für nachhaltiges Wohnen und Mobilität präsentierte Dr. Heide Schuster das Plus-Energie-Haus mit Elektromobilität, das derzeit mitten im Berliner Zentrum gebaut wird. Das vom Stuttgarter Ingenieurbüros Werner Sobek entworfene Haus erzeugt doppelt so viel Strom wie es verbraucht. Genug, um zusätzlich ein Elektroauto vor der Tür zu betanken. Mitte 2012 soll eine vierköpfige "Test-Familie" unter wissenschaftlicher Begleitung der Fraunhofer-Gesellschaft für etwa ein Jahr in das Haus einziehen. "Unser Pilotprojekt soll Wohnen und Elektromobilität optimal verknüpfen: Das Haus erzeugt den Strom, den das Auto tankt", erklärte Heide Schuster. "Uns ist es gelungen, Fortschritte in der Gebäudetechnik und bei elektrischen Antriebstechnologien zu einem intelligenten Gesamtsystem zusammenzufügen." Eine Ladestation bindet zudem das Elektrofahrzeug als Speicher und Verbraucher ein. Die Batterie des Fahrzeugs kann in Niedriglastzeiten überschüssigen Strom aufnehmen und diesen in Hochlastzeiten ins Netz zurückspeisen. So lassen sich Lastspitzen ausgleichen und regenerative Energien aus schwankenden Quellen in das Energiesystem stärker integrieren. 
Als rundum gelungen bewerteten die Teilnehmer, die Referenten und die Gäste die Veranstaltung, "die auch in Berlin oder München nicht hätte besser sein können" und drückten die Hoffnung aus, dass das gelungene Produkt cie-mo auch weitergeführt wird.