Kalligrafie wird Zeichnung

17.06.2009 12:16

Japanerin Hana Usui mit Arbeiten auf Papier ab 26.06.2009 im Kulturhof Krönbacken 

Ihre zeichnerischen Wurzeln verleugnet die 1974 in Tokyo geborene Hana Usui nicht, aber sie ist ihnen längst weit entwachsen: Nach ersten Schritten beim Erlernen der Schrift im Alter von 6 Jahren, einer Kalligrafielehre beim Großmeister Undo Inamura, Teilnahme und Preisgewinn bei Kalligrafiewettbewerben, einem Kunstgeschichtsstudium an der Waseda-Universität Tokyo und einem Designkurs inzwischen als freie Künstlerin in Wien, Tokyo und Berlin ansässig, hat sie bereits zahlreiche Ausstellungen in Tokyo, Wien, Berlin, Bonn, Köln, Stettin, Krakow, Torino und Urbino sowie Arbeiten in internationalen Sammlungen aufzuweisen.

Die Kunsthistorikerin Dr. Brigitte Hammer attestiert Hana Usui, "… dass sie eine ganz eigene Art entwickelt hat, eine Linie als autonome Form zu begreifen und sie als freie abstrakte Spur des Malaktes zu entwickeln …". Die "in ihrer konsequenten Reduktion fast minimalistisch wirkenden Blätter … entfalten eine erstaunliche Vielfalt der Formen, eine unglaublich nuancenreiche Farbigkeit und ein vielstimmiges Ausdrucksspektrum."

Hammer sieht Usui u. a. "… in der Nähe des vom Zen-Buddhismus beeinflussten John Cage, wenn man ihre Arbeit in eine Beziehung zur westlich-amerikanischen Kunst setzen will. Da Hana Usui seit einigen Jahren in Berlin lebt, könnte man auch Verbindungslinien zu abstrakt-informellen Traditionen deutscher Provenienz konstruieren und vielleicht wird man in einigen Jahren solche Einflüsse aus dem künstlerischen Erbe ihres neuen Lebensraumes entdecken können."

Der Schritt von der Schriftkunst zur freien bildenden Kunst wird dadurch erleichtert, dass die ostasiatische Kalligrafie seit Jahrhunderten und noch heute als eigenständige Kunstform mit verschiedenen Stilrichtungen und den Möglichkeiten individuellen Persönlichkeitsausdrucks begriffen und praktiziert wird.

Dr. Marcello Farabegoli, Leiter der Berliner Galerie "oko - Japanese Contemporary Art", stellt fest: "In ihrer heutigen Schaffensperiode spielen für Hana Usui Schriftzeichen keine Rolle mehr, daher ist ihre aktuelle Kunst von der Intention und vom Wesen her keine Kalligrafie. Hana Usuis abstrakte Zeichnungen sind jetzt vielmehr von Gegenständen ihrer Umgebung und der Natur inspiriert. In ihren Arbeiten ergründet sie den reinen Abstraktionsprozess: Dinge, Bilder, Gedanken und Gefühle werden dabei stets nur angedeutet, stark vereinfacht und reduziert – als suchte die Künstlerin eine Art symbolische Kraft zu extrahieren, um diese dann dem freien Spiel der Fantasie des Betrachters zu überlassen.

Durchaus greift sie dabei auf die strengen Kompositionsregeln der japanischen traditionellen Kalligrafie zurück, welche das Zusammenspiel zwischen Linie und Fläche bis ins feinste Detail festlegen und jede Symmetrie und Regelmäßigkeit harmonisch zu brechen trachten. Aber diese Strenge bricht sie wieder in spielerischer Weise, wenn sie zum Beispiel ihre Formen an den Blatträndern abschneidet und diese sich frei in den Umgebungsraum hinein entwickeln lässt. Ihre Linien zeichnet Hana Usui nach wie vor "kalligrafisch", d.h. in einem Zug, abhängig von ihrer Atmung und ihrem "inneren Rhythmus", ohne sie nachträglich zu verändern oder zu korrigieren. Der Variationsreichtum von Stärken und Schärfen ihrer Linien ist für sie Farbe und Klang. Und tatsächlich haftet ihren Linien Musikalisches an."
Im Obergeschoss der Galerie Waidspeicher des Kulturhofs Krönbacken, Erfurt, Michaelisstraße 10, zeigt Hana Usui vom 26.06. (Vernissage 19:00 Uhr) bis 26.07. bis auf einen furiosen kalligrafischen Auftakt ausschließlich jüngere Arbeiten, die immer Unikate sind und in denen die Farbigkeit auf Hell-Dunkel-Kontraste und malerische Graumodulationen zurückgenommen ist, damit die Konzentration auf dem kraftvollen und zugleich sensiblen Charakter der Linien liegt, die aus weißer und schwarzer Ölfarbe entstehen.

Unterstrichen wird der Ausdruck durch kostbare, fein strukturierte Japanpapiere, die oft beidseitig bearbeitet werden, so dass Farbschichten beim Betrachten wie schwebend einander überlagern.

Bildtitel schließlich erübrigen sich, da es nicht um einen "subjektiven Ausdruck emotionaler Zustände" geht, sondern um die "… Entwicklung von Bildprozessen, die sich in Raum und Zeit, zwischen Einfall und Zufall, im Zusammenspiel von Empfinden, Denken und Handeln entwickeln und durch einen Entscheidungsakt der Künstlerin zu ihrem Endzustand kommen". (Dr. B. Hammer)

Pressegespräch: 25.06., 11:00 Uhr
Vernissage: 26.06., 19:00 Uhr
Ausstellungsdauer: bis 26.07., Di - So 11:00 - 18:00 Uhr