Eine DenkNadel für Dr. Ernst Ehrlich

28.10.2010 16:39

Ab 9. November 2010 wird eine fünfte DenkNadel in Erfurt an einen Menschen erinnern, dessen Leben unter dem politischen System des NS-Faschismus wegen seiner jüdischen Herkunft ausgelöscht wurde.

Initiatoren der Aktion sind die Mitglieder des Arbeitskreises "Erfurter GeDenken 1933 – 1945". In einem Wettbewerb, der jetzt zwei Jahre zurückliegt, waren Künstler dazu aufgefordert, Namen und Schicksale mit den Wohn- und Wirkungsstätten zu verbinden. Die Idee von Sophie Hollmann, überdimensionale Stecknadeln - DenkNadeln - im Stadtbild zu installieren, überzeugte am meisten.
Mit den ersten vier symbolischen Nadelstichen wurde seit dem 9. November 2009 die Aufmerksamkeit bei Einwohnern und Besuchern der Stadt geweckt. Außer Zustimmung gab es auch kritische Stimmen zur Gestaltung des Kunstwerks. Nachdem im Juni d. J. ein Täter - offensichtlich aus dem rechtsradikalen Lager - eine der DenkNadeln beschädigt hatte, verband sich die allgemeine Empörung über den Anschlag mit der Gewissheit, dass die Markierungen im Stadtbild mit dem Hier und Heute zu tun haben.
Die DenkNadeln werden vollständig durch bürgerschaftliches Engagement finanziert. 2010 stiften nun Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Investment- und Finanzcenters Erfurt der Deutschen Bank eine DenkNadel unweit ihres Arbeitsplatzes in der Bahnhofstraße. Sie ehren Dr. Ernst Ehrlich, einen seinerzeit bekannter Facharzt für Magen-, Darm- u. Stoffwechselkrankheiten, dessen letzte Praxisanschrift die Bahnhofstraße 40 war. Bis zum Berufsverbot für die als jüdisch geltenden Ärzte hatte Dr. Ernst hier auch seinen Wohnsitz. In dem Wohn- und Geschäftshaus waren damals mehrere Arztpraxen niedergelassen, im Erdgeschoss firmierte die "Bahnhofsapotheke zum weißen Kreuz". Dr. Ehrlich musste seine Praxis zum 1.Oktober 1938 schließen. Der Entzug der Approbation und die Löschung im   Arztregister gingen auf die "Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 25. Juli 1938 zurück. Kurz darauf folgten die Verbote, ärztliche Bezeichnungen zu verwenden und den Doktortitel zu führen. Wie mag dem damals 64jährigen zumute gewesen sein? In Breslau hatte er 1899 sein Staatsexamen und 1900 die Promotion abgelegt. Seit 1902 war er als Facharzt in Erfurt niedergelassen. Im Juli 1939 erhielt Dr. Ehrlich die Erlaubnis, als sogenannter jüdischer Krankenbehandler zu arbeiten. Er war der letzte in dieser Funktion, die er in den Räumen der Synagogengemeinde ausübte.

Dr. Ernst Ehrlich gehörte zu den Männern, die in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 von der Gestapo verhaftet, in der Turnhalle der Humboldtschule misshandelt und dann ins KZ Buchenwald verschleppt wurden. Nach seiner   Freilassung aus dem KZ war er zweimal zum Wohnungswechsel gezwungen. Im September 1942 wurde Dr. Ehrlich in das KZ Theresienstadt deportiert; er starb dort am 13. Oktober 1942 infolge der unmenschlichen Lebensumstände.
Für die Errichtung weiterer DenkNadeln in den kommenden Jahren werden Stifter und Mitstifter gesucht. Jahr für Jahr am 9. November soll wenigstens ein weiteres Zeichen hinzukommen. Wer diese Initiative unterstützen möchte, kann über die Begegnungsstätte Kleine Synagoge, An der Stadtmünze 4, Kontakt zum Arbeitskreis aufnehmen oder sich an die E-Mail-Adresse erfurtergedenken@erfurt.de wenden.
Zur Übergabe der DenkNadel am 9. November 2010 um 18 Uhr sind alle Bürger und Bürgerinnen willkommen, die sich für das Anliegen der Initiatoren und Stifter interessieren. Im Anschluss an diese Veranstaltung lädt der Arbeitskreis "Erfurter GeDenken 1933 – 1945" zu einer szenischen Lesung unter dem Titel "Erfurter Biographien – Opfer und Täter" ein, die um 19 Uhr in der Begegnungsstätte Kleine Synagoge beginnt.