"Kontroverse und Kompromiss - Der Pfeilerbilderzyklus des Mariendoms und die Kultur der Bikonfessionalität im Erfurt des 16. Jahrhunderts"

25.06.2015 15:43

Ausstellung des Erfurter Angermuseums in Kooperation mit dem Dom St. Marien und der Kaufmannskirche St. Gregor. Mit freundlicher Unterstützung Freistaat Thüringen – Staatskanzlei, Ernst von Siemens Kunststiftung, Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Sparkasse Mittelthüringen, Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, Zumnorde Hotel Erfurt.

Ausstellungsorte - Angermuseum Erfurt, Dom St. Marien, Kaufmannskirche St. Gregor

Allegorische Darstellung der Transsubstantiation (lat.: „Wesensverwandlung“).Am oberen Bildrand Gott, darunter die symbolische Mühle, in die das Korn (Gottes Wort - hier in Form von Spruchbändern)hineingegeben wird. Die Mühle verwandelt es in die Hostie (lat.: hostia "Opfer" oder "Opfergabe"), die nach der Lehre von der Transsubstantiation der Leib Christi, im Bild das Jesuskind, ist. Letzteres sitzt im Kelch, der von den Bischöfen gehalten wird. Angetrieben wird die Hostienmühle von den Aposteln.
Foto: Hostienmühle: Pfeilerbild im Hohen Dom zu Erfurt St. Marien, Kathedralkirche des Bistums Erfurt, 1534 Foto: © Bistum Erfurt, Foto: Falko Behr

Im aktuellen Themenjahr "Bild und Botschaft – Cranach in Thüringen" widmen sich drei Ausstellungen in Eisenach, Gotha und Weimar der Malerfamilie Cranach. Neben aller Faszination für die Meisterschaft der Künstler geht es darum, die heute nicht mehr leicht verständlichen Botschaften der bildenden Künste in den Glaubenskämpfen der Frühen Neuzeit für unsere Gegenwart aufzuschließen und aufzubereiten. Zwar halten wir es heute für selbstverständlich, die Zeugnisse des Wirkens der Reformatoren, insbesondere Martin Luthers, und ihrer Mitstreiter – der Gelehrten, Künstler und Musiker – zu erforschen und zu würdigen. Die Thematisierung der Argumente der Gegenseite im konfessionellen Streit bleibt dagegen nicht selten unscharf, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.

Diese Situation begriffen Prof. Dr. Eckhard Leuschner und weitere Wissenschaftler als Herausforderung, indem sie ihr Forschungsinteresse auf die Pfeilerbilder im Erfurter Dom St. Marien richteten, ein Ensemble von Gemälden auf konvex gewölbten Holzplatten, die zwischen 1506 und etwa 1570 entstanden sind. Während der Hohe Chor des Erfurter Doms St. Marien architektonisch und thematisch eine feste Ordnung vorgibt, in der sich spirituelle Konzentration, ein reicher Bibel- und Heiligenkanon sowie der Gottesdienst entfalten können, zeigt sich das Langhaus der Kathedrale als offener Raum, der Vielfalt zulässt und bis in die Liturgie hinein zu "Kontroverse und Kompromiss" herausfordert. Im Raum des Langhauses bilden der konfessionsverbindende Taufstein und das katholisch profilierte Sakramentshaus den kirchlichen Rahmen, in dem sich theologische und künstlerische Weite präsentieren. Die Pfeilerbilder aus dem 16. Jahrhundert spielen dabei im Zeitraum zwischen Reformation und tridentinischer Reform eine besondere Rolle.

Die acht konvexen Pfeilerbilder im Erfurter Dom St. Marien sind das bedeutendste Ensemble von Tafelgemälden der Reformationszeit, das sich in Erfurt erhalten hat. Als einheitlicher Zyklus von Bildern, deren ursprüngliche Funktion – als Epitaph-, Fürbitte- oder Widmungsbilder? – wir heute nur noch erahnen können, sind sie auch deutschlandweit einzigartig. Sie zeigen überwiegend Themen, die nicht erst heute als dezidiert katholisch angesehen werden: Himmelfahrt und Krönung Mariens, Gregorsmesse, Hostienmühle etc. Es liegt nahe, in diesen Bildern Positionsbestimmungen und Bekenntnisse ihrer Stifter, meist Mitglieder des Chorherrenstifts St. Marien und Professoren der Universität Erfurt, im Rahmen der beginnenden konfessionellen Spaltung der Kirche zu sehen. So bildet die Gruppe der Pfeilerbilder ein wichtiges Zeugnis für die künstlerischen und kulturellen Auswirkungen der Auseinandersetzungen zwischen der römisch-katholischen Geistlichkeit und der lutherisch-protestantischen Bewegung im Erfurt der Frühen Neuzeit. In den Pfeilerbildern spiegelt sich die komplizierte Lebenspraxis einer bikonfessionellen Stadt im 16. Jahrhundert, in der plötzlich zwei Wahrheiten nebeneinander existierten. Die Bilder bringen verschiedene Aspekte des Neben-, Gegen- und Miteinanders der beiden christlichen Konfessionen in den Jahrzehnten nach Luthers Thesenanschlag zur Sprache.

Kunsthistorisch sind die Tafeln u.a. deshalb von Interesse, weil sich in ihnen Erfurt als Schnittpunkt verschiedener Stiltendenzen der Zeit zeigt. So gibt es Spuren der Cranach-Werkstatt (Sachsen) und des Kreises um Albrecht Dürer (Franken, Meister der Crispinus-Legende); der auf einem Rahmen genannte Peter von Mainz, wohl der Maler des zugehörigen Bildes, verweist zudem auf den Mittelrhein. Mit diesen drei Kunstregionen sind zugleich die damals wichtigsten politisch-geographischen Bezüge der Stadt benannt.

Zur Vorbereitung der Schau fand im Mai 2014 in Erfurt eine internationale Tagung statt, deren Ergebnisse in die Aufsätze bzw. Katalogexte der ausstellungsbegleitenden Publikation einmündeten. Die Pfeilerbilder bleiben auch während der Ausstellung an ihrem Ort im Erfurter Mariendom und sind dort Teil und eigentliches Zentrum der Veranstaltung. Ihrer Kontextualisierung dienen die Ausstellung im Angermuseum sowie – als dritter Standort und Beispiel für die Konstituierung einer konfessionalisierten Erfurter Sakraltopographie im 16. Jahrhundert – die protestantisch geprägte Kaufmannskirche. Das bis heute dort erhaltene Ensemble von Kanzel, Altarretabel und Taufstein, geschaffen von der Bildhauerfamilie Friedemann im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, kann als ein reformatorischer Spannungspol zur Ausstattung des Erfurter Doms erlebt werden.

In der Ausstellung veranschaulichen ausgewählte Tafelbilder, Skulpturen, Druckgrafiken der Reformationszeit, Bücher und Objekte aus der Liturgie einerseits bestimmte ikonografische Traditionslinien und stilistische Einflüsse, die sich in den Pfeilerbildern zeigen, anderseits verdeutlichen sie die gegensätzlichen Anschauungen und Praktiken der beiden Konfessionen. Neben Zeugnissen für die konfessionellen Kontroversen der Reformationszeit gibt es jedoch auch solche, die vermittelnd zwischen den Konfliktparteien stehen, für den Kompromiss.  Darauf verweist beispielsweise prominent ein um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstandener Bildteppich nach einem Kupferstich von Georg Pencz, der als "Reformationsteppich" überliefert wird, jedoch zum Bestand der Kunstwerke des Erfurter Doms St. Marien gehört. Er zeigt das Motiv der Kindersegnung Jesu, das die Cranachwerkstatt als ein typisch-reformatorisches Thema popularisiert hatte – in der Ausstellung repräsentiert durch das nach 1537 gemalte Tafelbild von Lucas Cranach d. Ä. aus dem Bestand des Angermuseums. Als biblische Glaubensallegorie war es jedoch konfessionsübergreifend akzeptabel. Darüber hinaus belegen die erst kürzlich restaurierten Flügelfragmente eines Wandelaltars mit Darstellungen zur Legende der heiligen Barbara, entstanden um 1540 im Umkreis des Lucas Cranach d. Ä., dass die Künstler des 16. Jahrhunderts natürlich für die Auftraggeber beider Konfessionen tätig wurden.

Katalog

Anlässlich der Ausstellung erscheint der Katalog "Kontroverse & Kompromiss. Der Pfeilerbilderzyklus des Mariendoms und die Kultur der Bikonfessionalität im Erfurt des 16. Jahrhunderts", Herausgeber: Eckhard Leuschner, Falko Bornschein, Kai Uwe Schierz, Sandstein Verlag, Dresden, 400 Seiten, 407 farbige Abb., 27,5 x 23 cm, Festeinband. Erscheint am 27.06.2015, ISBN 978-3-95498-176-2, 48,00 Euro. Museumspreis während der Ausstellung: 29,90 Euro

Die Beiträge in diesem Buch untersuchen die Bilder in ihren theologischen, kulturgeschichtlichen und stilistischen Aspekten und vergleichen sie mit protestantischen Kunstaufträgen des 16. Jahrhunderts in Erfurt und Thüringen. Außerdem wird den in ihnen enthaltenen Spuren der Kunst Sachsens (Lucas Cranach), Frankens (Albrecht Dürer) und des Mittelrheins (Peter von Mainz) nachgegangen. Mit diesen drei Kunstregionen geraten auch die politisch-geografischen Bezüge Erfurts in den Blick. Das reich illustrierte Buch, die umfangreichste Publikation zur Kunstgeschichte des frühneuzeitlichen Erfurts seit Jahrzehnten, enthält viele Werke, die der Forschung bislang wenig oder gar nicht bekannt waren. An dem Band haben zahlreiche renommierte Kunsthistoriker und Historiker mitgearbeitet.

Leihgeber:

  • Badische Landesbibliothek Karlsruhe
  • Bistumsarchiv Erfurt
  • Dom zu Erfurt St. Marien, Domkapitel
  • Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Großmölsen
  • Evangelische Regionalgemeinde Straußfurt
  • Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Nürnberg-St. Sebald
  • Evangelische Predigergemeinde zu Erfurt
  • Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
  • Katholische Kirchgemeinde St. Lorenz, Erfurt
  • Klassik Stiftung Weimar, Direktion Museen
  • Martin von Wagner Museum
  • Kunstsammlungen der Julius Maximilians-Universität Würzburg
  • Stadtarchiv Erfurt
  • Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
  • Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha, Sondersammlung
Insgesamt acht Teilgemälde zum Leben der heiligen Barbara, einer christlichen Märtyrerin, die im 3. Jahrhundert in Nikomedien gelebt haben soll, u.a. die Turm-Szene, die Taufe durch Valentinus oder die Versteck-Szene in einer Felsspalte.
Foto: Umkreis des Lucas Cranach d. Ä., Die Legende der heiligen Barbara, um 1540. Vier Flügelfragmente eines Wandelaltars, Mischtechnik auf Holz, 172 × 65 cm je Flügel Foto: © Kunstmuseen der Landeshauptstadt Erfurt, Angermuseum

Die Restaurierung des Altarretabels mit Bildtafeln zur Legende der heiligen Barbara

Durch die Restaurierung des Altarretabels mit Bildtafeln zur Legende der heiligen Barbara wird das Kunstwerk den Besuchern im Angermuseum Erfurt wieder zugänglich. Die Ernst von Siemens Kunststiftung förderte die Restaurierungsarbeiten großzügig.

Seit 1907 sind die Tafeln eines Altarretabels mit Bildern zur Legende der heiligen Barbara als Leihgabe der Königlichen Museen zu Berlin – heute sind das die Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz – im Bestand des Angermuseums Erfurt.  Ausgestellt werden konnten sie jedoch lange Zeit nicht mehr. Die Rahmung der Bildtafeln war konservatorisch bedenklich und ästhetisch unbefriedigend, einige Tafeln wiesen Risse auf; an verschiedenen Stellen hatte sich die Malschicht vom Bildträger abgelöst.

Dank der Initiative "Kunst auf Lager", einem Bündnis von Förderinstitutionen zur Erschließung und Sicherung von Museumsdepots, der auch die Ernst von Siemens Kunststiftung angehört, konnte im Vorfeld der Ausstellung "Kontroverse und Kompromiss - Der Pfeilerbilderzyklus des Mariendoms und die Kultur der Bikonfessionalität im Erfurt des 16. Jahrhunderts" endlich die aufwändige Restaurierung dieses Werkes in Angriff genommen werden. Die Ernst von Siemens Kunststiftung förderte die Restaurierungsarbeiten mit einem Zuschuss zur Finanzierung großzügig. Ausgewählte Restauratoren im Restaurierungsatelier der Gemäldegalerie in Berlin kümmerten sich um den Erhalt und die museale Ertüchtigung der Bildtafeln und ihre Neurahmung.

Die acht Bildtafeln sind Reste eines Altarretabels, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von der Cranach-Werkstatt geschaffen wurde. Die Tafeln der Altarflügel wurden später separiert, zersägt und neu gerahmt, um sie als Bildergruppe an der Wand präsentieren zu können. Gezeigt werden Szenen aus der Geschichte der Heiligen Barbara, die als Tochter eines reichen Kaufmannes zum Christentum konvertierte und sich der Taufe unterzog. Im Konflikt mit Ihrem Vater, der die Konvertierung nicht billigte, erlitt sie ihr Martyrium.

Pünktlich zur Sonderausstellung „Kompromiss und Kontroverse“ können die Besucher das rund 500 Jahre alte Kunstwerk im Angermuseum vom 27. Juni bis zum 20. September 2015 in neuem Glanz betrachten. Danach wird es in die Dauerausstellung des Angermuseums zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kunst aufgenommen.