Eine schöne Kiste

27.05.2014 14:24

Immer noch Regen: Statt der Ega besuche ich die Andreasstraße. Höre ein Orgelkonzert. Und ganz unerwartet eröffnet Erfurt mir einen neuen Blick auf Leipzig.

Woche 4 (19. Mai bis 25. Mai)

Eine Ampel auf Grün.
Foto: Eilige... Foto: © Katharina Bendixen

Aufgeschnappte Gespräche 4

Nachmittags, in der Rumpelgasse, zwei Männer um die 60
„… die sieht richtig gut aus … eine schöne Kiste … sind nur ein paar Löcher drin …“

Friedenstaube

Für eine Hochzeit fahre ich nach Berlin. Auf dem Rückweg macht der Bus in Leipzig Halt. Ich löse den Blick vom Laptopbildschirm und sehe plötzlich Dinge, die mir nie aufgefallen sind, obwohl ich seit meiner Geburt in dieser Stadt lebe. Oder gerade weil ich schon so lange hier lebe? Zum Beispiel die Oper: Sie ist mit Friedenstaube und Hammer, Zirkel, Ährenkranz geschmückt. Schärft das Leben in einer fremden Stadt auch den Blick für die Heimat?

Eine Ampel auf Grün.
Foto: ... und entspannte Ampelmännchen am Juri-Gagarin-Ring Foto: © Katharina Bendixen

Andreasstraße

Eigentlich wollen D. und ich endlich zur Ega fahren. Der Regen aber treibt uns in die Bildungs- und Gedenkstätte Andreasstraße, die wir ebenfalls schon lange anschauen wollen. Es ist fast zu effekthascherisch, wie Haft, der erste Teil der Ausstellung, eröffnet: Hinter einer schweren Tür liegt unerwartet der enge Gefängnisgang. Lange hören wir Filmsequenzen mit Zeitzeugen zu. Spätestens in der ersten Etage – Diktatur – vergessen wir einander und die Zeit: Comics. Kollektivierung. Jugendkultur und Zensur. Für den dritten Teil der Ausstellung – Revolution – müssen wir ein anderes Mal zurückkehren, wir sind leer geschaut. Schweigsam schließen wir die Schirme aus den Spinden. Neben uns ziehen zwei Besucher um die sechzig ihre Wetterjacken an. Einer sagt: „Das stimmt alles. Aber so ist es trotzdem nicht gewesen.“ – „Nein“, erwidert der andere lapidar. Ich weiß nicht, wie ich das Land, in dem ich aufgewachsen bin, jemals verstehen soll.

Seltsam klein

Reger, Bach, Vierne, Franck, Dupré – abendliches Orgelkonzert im Dom. Nicht nur aufgrund der Lautstärke dringt die Musik bis in mein Innerstes. Wie immer, wenn ich mit anderen Künsten in Berührung komme, frage ich mich: Was wäre ich auf diesem Feld? Welches Instrument würde ich spielen? Oder würde ich komponieren? Klassisches, Modernes? Obwohl von normaler Statur, wirkt der Organist, als er nach dem Konzert die Wendeltreppe herunterläuft und vor dem Publikum steht, seltsam klein.