Katharina Bendixen: Mein Dutzend ungarische Wörter

01.06.2014 09:00

In der monatlichen Reihe "Standpunkte" legen prominente Personen des öffentlichen Lebens der Landeshauptstadt Erfurt ihre persönliche Sicht und Auffassung zur Sprache und ihre Beziehung zum Wort dar. Im Juni ist das die diesjährige Erfurter Stadtschreiberin.

Frau mit braunen Haaren, brauner Jacke und braunem Tuch. Im Hintergrund - verschwommen - das Rathaus zu Erfurt.
Foto: © Stadtverwaltung Erfurt / J. Ludwig

Diesen Winter habe ich in Budapest verbracht. Dort habe ich letzte Details für meinen Roman recherchiert, den ich in Erfurt beenden möchte. Ich spreche kein Ungarisch. Das heißt, ich beherrsche ungefähr ein Dutzend Wörter: "Jó napot!" heißt "Guten Tag", "köszönöm" heißt "Danke". "Auf Wiedersehen" kann ich sagen, "Hallo" und "Tschüs", und ich kenne das Wort für "Entschuldigung", wobei ich mir allerdings nicht sicher bin, ob ich es nur im Sinne von "Entschuldigung, darf ich mal vorbei?" verwenden kann oder auch im Sinne von "Entschuldigung, dass ich Ihnen gerade auf den Fuß getreten bin". Natürlich hätte ich das schnell herausfinden können. Aber hätte das etwas an meiner Lage geändert?

Skurrile Situationen und verpasste Erfahrungen

Meine zwölf ungarischen Wörter haben mich in skurrile Situationen gebracht. Beim Bäcker habe ich Blätterteig mit Wurst erwischt, obwohl ich keine Wurst esse, und ich bin minutenlang durchs Schwimmbad getappt: Ich konnte das Becken nicht finden. Die zwölf Wörter haben mich aber auch um Erfahrungen gebracht: Ich wollte mich mit den Ungarn über ihr Land unterhalten, über die Innenpolitik, über die anstehenden Wahlen. Doch das ging nur mit jenen, die Englisch oder Deutsch beherrschen. Mit einem bestimmten Teil der Bevölkerung – den Älteren, den weniger Privilegierten – konnte ich nicht sprechen. Selbst ein Sprachkurs hätte das nicht geändert. Angeblich dauert es Jahre, bis man Ungarisch beherrscht.

Wie nimmt man eine Sprache wahr, die man nicht spricht?

Als Mensch bedaure ich diese fehlenden Erfahrungen, als Autorin sind sie mir ein Segen. Denn auch die Protagonistin meines Romans, die von Deutschland nach Budapest kommt, spricht kein Ungarisch. Ein paar meiner Erlebnisse kann ich also ihr andichten, und Politik ist ohnehin nicht ihr Metier. Während ich den Singsang dieser seltsamen Sprache mit ihren warmen, dunklen Vokalen jedoch genossen habe, fühlt sie sich angegriffen von den ellenlangen Wörtern mit den vielen Ks und Ös. Bevor sie nach Budapest kam, ist ihr etwas Schreckliches widerfahren, und je weiter der Roman voranschreitet, desto haltloser wird sie. Zwischen Sehenswürdigkeiten und Touristen geht sie nach und nach verloren.

Sich in der Sprache verlieren

Während ich das beschreibe – zurück in Deutschland, genauer gesagt: in Erfurt –, gehe auch ich immer wieder verloren, jedoch nicht mir selbst, sondern auf der Suche nach dem einzigen, dem richtigen Ausdruck. Dem Ausdruck, der mit wenig Aufwand ein vollständiges Bild zu zeichnen in der Lage ist. Fast minütlich klicke ich mich zu Online-Wörterbüchern – mein liebstes ist der Dornseiff –, oder ich finde per Bilder-Suche heraus, wie diese Werbe-Flatter-Figuren heißen. Von Zeit zu Zeit verliere ich mich noch im Online-Ungarisch-Wörterbuch und staune über die Buchstabenfolgen, in denen einfach keine Verbindung zum Deutschen zu finden ist. Dann tauche ich wieder auf – und schreibe weiter, schreibe, schreibe.

Katharina Bendixen