Rätselhafte Welt

11.08.2014 13:44

Nach einer Woche in Leipzig lande ich in Woche 15 wieder in der sommerheißen Stadt. Ich gehe ins Kino und in die Kunsthalle und erlebe einen Rätselmoment auf dem Benediktsplatz.

Woche 15 (4. bis 10. August)

Graue Hausfassade mit bunt bemalten Fenstern unter der Aufschrift "Kartäuser Mühle"
Foto: Ein geheimnisvolles Gebäude in der Kartäuserstraße Foto: © Katharina Bendixen

Stadt im Schlaf

Im August ist das Leben langsamer geworden. Mein Lieblingsbäcker und das Klara Grün sind für eine Woche geschlossen, überhaupt scheint an jeder zweiten Ladentür ein Zettel zu hängen: Urlaub! Auch die critical mass wirkt mit nur einhundert Fahrern etwas müde. Ich habe den Urlaub in diesem Jahr verpasst, genieße aber die Behäbigkeit, die in die Stadt gekommen ist. Selbst die Touristengruppen kommen mir langsamer vor, und die Stadtführer reden leiser. Vielleicht muss ich gar nicht in den Urlaub fahren, vielleicht reicht die Schläfrigkeit der Stadt.

Aufgeschnappte Gespräche 14

Abends, im Kinoklub, zwei Mittvierziger in der Reihe hinter mir
Sie: „Ich bin müde.“
Er: „Warste gestern aus?“
Sie: „Wo willste hier denn ausgehen?“

„Zu DDR-Zeiten“

Während ich im Freibad auf das Ende des Gewitters warte, komme ich mit einer Frau um die 60 ins Gespräch. Unter den Duschen halten wir uns warm, und sie erzählt, dass sie früher Leistungsschwimmerin war. „Zu DDR-Zeiten gab es nur kalte Duschen“, sagt sie dann, „aber es wurde schon morgens um sieben geöffnet!“ Ich halte inne. Zu DDR-Zeiten, diese Wendung taucht in jedem Gespräch über frühere Zeiten auf. Warum heißt das eigentlich so, warum nicht „in der DDR“? Wie ist diese Wendung entstanden? Ist der Ausdruck eine Art, sich zu distanzieren, weil es eben kein richtiges Leben im falschen gibt? Immer wieder komme ich an diese Grenze: Ich werde das Land, in dem ich geboren bin, niemals verstehen.

Kunstrundgang 2

Eigentlich gehe ich wegen Robert Capa in die Kunsthalle. Eine große Bildauswahl des ungarischen Fotografen haben D. und ich in Budapest gesehen, und ich lasse keine Möglichkeit aus, mich in diese Stadt zurückversetzen zu lassen. In den Ausstellungsräumen stelle ich aber fest, dass mich die Bilder seines zeitgenössischen Kollegen fast noch mehr interessieren. Julian Röders Bilder von den Protesten in Genua und Heiligendamm, von Lagos, von Grenzsituationen in Europa fangen mich sofort ein. Und immer wieder gehe ich in den hintersten Raum zurück, zu „Worlds of Warfare“: Hier sind Aufnahmen von einer Messe für Waffen und Kriegsgerät zu sehen, ironisch und gleichzeitig bitterernst. Julian Röder hätte gut ohne den berühmten Namen an seiner Seite ausstellen können. Aber wie viele Besucher betreten wie ich die Räume zunächst wegen Robert Capa?

Rätsel

Im Halteverbot des Benediktsplatz‘ steht ein glitzerblauer Nobelwagen mit Dubaier Kennzeichen. Der Fahrer ist nirgends auszumachen. Ich denke: „Protzkarre!“ und gehe weiter. Aber dann werde ich auf das Verhalten der anderen Passanten aufmerksam und bleibe doch stehen. Männer zücken ihre Handykameras und schicken Frauen und Töchter zum Posieren vor den Wagen. Was lichten sie ab: den Reichtum der anderen, ihre Sehnsucht nach eigenem Reichtum? Würde ihnen ihr Leben besser gefallen, wenn sie einen solchen Wagen hätten? Aber warum stellen sie sich dann nicht selbst vor den Wagen, warum schicken sie die Frauen? Manchmal ist mir die Welt ein großes Rätsel.