Bilder-Geschichten: Jüdisches Leben in Erfurt

14.03.2016 07:00

Erfurts Altstadt steckt voller verborgener Geschichtsorte. Dazu gehört auch die Kleine Synagoge, die sich im Gerabogen zwischen Rathaus und Krämerbrücke befindet. Der Weg führt dazu über die Rathausgasse in die schmale Stichstraße „An der Stadtmünze“, auf deren linken Seite befindet sich dann der Eingang der Kleinen Synagoge.

Foto: Kleine Synagoge, 1906 Foto: © Stadtarchiv Erfurt

Bildbeschreibung

Die besondere Rückseite der Kleinen Synagoge mit den langen Rundbogenfenstern kennt fast jeder Bürger und Besucher der Stadt. Vor allem von den gegenüberliegenden Cafés und Aussichtsterrassen aus lässt sich über die Gera hinweg die schöne Ansicht des Gebäudes erfassen. Aus dieser Perspektive sind die beiden Fotografien entstanden. Auf den ersten Blick nahezu identisch, liegen zwischen ihnen doch über 90 Jahre einer bewegten Geschichte. Das erste Foto wurde 1906 aufgenommen. Es zeigt noch in Schwarz-Weiß die 1840 erbaute Kleine Synagoge – das erste neuzeitliche jüdische Gotteshaus in Erfurt seit den Pogromen, Zerstörungen und Vertreibungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Das zweigeschossige Gebäude umfasste einen Betsaal mit Toraschrein und Frauenempore. Im Untergeschoss befanden sich ein rituelles Bad (Mikwe) und Wohnräume für Angestellte. In der Zeit, als das Foto entstand, diente die Kleine Synagoge allerdings bereits als Fasslager und Produktionsgebäude für Essenzen und Spirituosen. Denn für die wachsende jüdische Gemeinde war das Haus nach 45 Jahren zu klein, so dass eine größere Synagoge am Kartäuserring erbaut wurde. Daher erwarb 1885 der Kaufmann C. C. Römpler das Gebäude und veränderte das Haus im Inneren mit Zwischenwänden für Wohnräume. Ab 1918 gehörte das Haus der Stadt und wurde als Wohnhaus genutzt. Vielleicht geriet die ursprüngliche Nutzung dieses Gebäudes vollständig in den Hintergrund und entging damit der Zerstörung im Nationalsozialismus.

Erst in den 1980er Jahren begann sich ein stärkeres Interesse am Gebäude und seiner Geschichte zu regen. Es dauerte dann bis  1992, ehe das Haus unter Denkmalschutz gestellt werden konnte. Zeitgleich wurden Konzepte für die Einrichtung einer Begegnungsstätte entwickelt. Das Ziel der Restaurierungsarbeiten war vorwiegend, den originalen Zustand des Betsaals und der übrigen Räume und Fassaden wiederherzustellen. Am 6. November 1998 fand die feierliche Eröffnung der Begegnungsstätte Kleine Synagoge statt, die sich seitdem großer Beliebtheit und reger Nachfrage erfreut.

Auf unserem zweiten Bild sieht der Betrachter die Kleine Synagoge im Jahr 1999. Im Vergleich zu dem 1906 entstandenen Foto kann kaum ein Unterschied an der äußeren Fassade festgestellt werden. Sie weist bogenförmige Fenster mit einem Wandvorsprung in der Mitte auf, das von einem Spitzdach, sowie Giebelgesims gekrönt ist. Die weiterführenden einfachen Gesimssteine gliedern die Wand zusätzlich. Der einzige auffällige Unterschied ist, dass an dem renovierten Gebäude ein Balkon angebaut wurde. Damit hat das Gebäude passend zu seiner Umgebung ein Stück venezianisches Flair bekommen …

Der Hauptsaal der Kleinen Synagoge

Foto: Kleine Synagoge Erfurt, Ansicht Hauptsaal Foto: © Papenfuss

Der hervorstehende Anbau, welcher von der Rathausbrücke zu beobachten ist, birgt ein ganz besonderes Relikt. Die Restauratoren fanden hinter dem einstigen Umbau einen Toraschrein. Der Toraschrein wird meist etwas erhöht vom Boden angebracht, so wie es die Abbildungen zeigen. In den Synagogen befindet sich der Schrein immer an der Ostwand, um einen symbolischer Hinweis auf die Stadt Jerusalem zu geben. Die Rahmung und die linke Tür sind original erhalten; die rechte Tür sowie die Unterbaukonstruktion wurden neu installiert. Bittet der Besucher das Fachpersonal den Toraschrein zu öffnen, blickt er heute auf die rückwärtige Fassade des Hauses, das kein aktiver Betraum mehr ist. Einst wurde hier jedoch die Tora, die Heilige Schrift der jüdischen Gemeinde, verwahrt. Mit ihren mahnenden Worten „Wisse, vor wem Du stehst“ erinnert die hebräische Aufschrift über dem Toraschrein genau daran.

Veranstaltungen in der Kleinen Synagoge

Bis zum 21. März 2016 zeigt die Begegnungsstätte Kleine Synagoge die Ausstellung „Der Gelbe Stern. Die Erfurter Familien Cars und Cohn.“ In beiden Familien waren es die jüdischen Väter und die Kinder, die seit September 1941 den „Judenstern“ tragen mussten. Die Ausstellung thematisiert ihre Schicksale. Außerdem lädt die Begegnungsstätte zu einem umfangreichen Begleitprogramm ein.

 17. März 2016 19:00 Uhr

„Sternvergehen“ Herbert Cohens Kampf gegen die Kennzeichnung
Dr. Ulrike Schrader (Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal)

 21. März 2016 19:00 Uhr

„Die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald“
Dr. Harry Stein (Kustos der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald)

Große Synagoge, Alte Synagoge und Mikwe