Jüdische Grabsteine gefunden – ältester in Erfurt erhaltener jüdischer Grabstein von 1259

08.02.2012 14:00

Auf dem Gelände zwischen der Andreasstraße, der Großen Ackerhofgasse und der Moritzstraße sind in den letzten Wochen und Monaten mehr als 20 jüdische Grabsteine gefunden worden.

Auf geschichtsträchtigem Erfurter Boden werden Bauarbeiten für neue Wohnungen durchgeführt, in der Nähe befand sich bis zum 15. Jahrhundert der Friedhof der Jüdischen Gemeinde.
Nach der Ausweisung der Juden 1458 wurde der Friedhof zerstört. An seiner Stelle errichtete die Stadt eine städtische Scheune und später den großen Kornspeicher, der noch heute steht. "Die jüdischen Grabsteine wurden als Baumaterial wiederverwendet, besonders viele anscheinend in unmittelbarer Nähe", erzählt Ingo Mlejnek, Beigeordneter für Bau und Verkehr.
Zumeist handelt es sich dabei um kleinere Fragmente, auf denen nur einzelne Buchstaben oder wenige Wort zu lesen sind. Einige der Steine sind jedoch sehr gut erhalten, darunter der älteste bislang existierende jüdische Grabstein aus Erfurt: er wurde im Jahr 1259 für die verstorbene Jüdin Dolze errichtet. Dolze (oder auch Dolce) war ein durchaus geläufiger Name im Mittelalter, den man beispielsweise aus Frankfurt oder Köln kennt. Für Erfurt ist dieser Grabstein der erste Nachweis dieses Namens.
Mit den Neufunden sind heute insgesamt 58 jüdische Grabsteine und Grabsteinfragmente erhalten, von denen drei Steine in der Alten Synagoge ausgestellt werden. Weitere 92 sind von Beschreibungen, Abschriften oder Fotografien bekannt.

Die Erfurter Grabsteine stammen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert und damit aus einer Zeit, aus der sich nur äußerst selten jüdische Grabsteine erhalten haben. Als wichtiges Zeugnis für die jüdische Vergangenheit wie die Erfurter Stadtgeschichte sind die Steine Bestandteil des Jüdisch-mittelalterlichen Erbes von Erfurt, für das der Titel Unesco-Weltkulturerbe beantragt werden soll.
Sie belegen zudem die besondere Stellung der Erfurter Gemeinde im Thüringer Raum als Zentralgemeinde, der umliegende Siedlungen, wie beispielsweise in Arnstadt, Weimar und Gotha, als Filialen (Jischuwim) angehörten. Auch deren Gemeindemitglieder wurden in Erfurt bestattet, da nicht in allen Siedlungen ein Friedhof vorhanden war.
Spätestens beim Bau des großen Kornspeichers wurde schon im 15. Jh. der größte Teil des Friedhofs zerstört. Bestattungen sind heute lediglich östlich des Speichergebäudes zu vermuten. Dieser Bereich bleibt bei der aktuellen Baumaßnahme ausgespart.. "Nach jüdischem Glauben währt die Totenruhe ewig, ein jüdischer Friedhof wird auch als Haus der Ewigkeit bezeichnet", sagt die Archäologin Dr. Karin Sczech, die für Erfurt zuständige Gebietsreferentin des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, "daher verbieten sich Bodeneingriffe auf dem eigentlichen Friedhofsareal."