Der erste Nilgirilangur

23.06.2014 11:15

Eine ereignisreiche achte Woche: Ich untersuche Reiseführerprosa. Mache einen kleinen Kunstrundgang. Und auf der Ega bekomme ich einen Anfall von Feminismus.

Woche 8 (16. Juni bis 22. Juni)

Wegenetz mit Grünstreifen und Sitzbereichen. Skulpturen rechts und links im Bild.
Foto: Der menschenleere Egapark Foto: © Katharina Bendixen

Reiseführerprosa

Seit D. Reiseführer schreibt, lese ich diese Textsorte mit anderen Augen. Aus der Bibliothek habe ich gleich mehrere solcher Bücher ausgeliehen, in die ich immer wieder schaue.

Der Reiseführer aus den siebziger Jahren klingt so: „Von der Nordostecke des Angers wird durch die Krämpferstraße ein eindrucksvolles Neubaugebiet errichtet.“ Oder auch so: „Für sein erfolgreiches volkskünstlerisches Wirken wurde der Zirkel ‚Textilgestaltung‘ mit den Titeln ‚Hervorragendes Volkskunstkollektiv‘, ‚Kollektiv der DSF‘ und ‚Ausgezeichnetes Volkskunstkollektiv‘ gewürdigt.“

Der neueste klingt so: „In der Stadt an der Gera hängt die größte frei schwingende Glocke der Welt.“ Und: „Wichtigstes Zeugnis jener Zeit sind der Bronzeleuchter ‚Wolfram‘ als ältestes frei stehendes Gusswerk Deutschlands.“ Und: „Der Gemäldezyklus aus dem 13. Jahrhundert gehört zu den größten seiner Art und ist am wunderbarsten, wenn ihn die Morgensonne zum Leuchten bringt.“

Mein Lieblingssatz lässt sich keiner Zeit, keiner Ideologie zuordnen. Er lautet folgendermaßen: „Der erste Nilgirilangur Europas erblickte inzwischen in Erfurt das Licht der Welt.“

Kleiner Kunstrundgang

Anders als bei Literatur, die ich gleichermaßen mit Verstand und Gefühl erfasse, fehlt mir bei bildender Kunst das Analyseinstrumentarium. Fast gänzlich bin ich auf mein Gefühl angewiesen, deshalb kann ich nicht genau sagen, wonach ich suche. Ich kann nur sagen, wenn es finde.

Bei meinem kleinen Kunstrundgang durch Erfurter Museen passiert mir das gleich zweimal: Zuerst fasziniert mich die absolute Konzentration in den Fotografien von Nina Röder im Kunsthaus. Und im Roten Ochsen stoße ich auf etwas, was in der zeitgenössischen Kunst noch seltener ist: Leichtigkeit, ja, Spaß in Maarten Sleeuwits‘ Arbeiten.

Feminismusanfall

Während ich durch den Egapark spaziere, habe ich einen podcast über Geschlecht und Macht auf den Ohren. Ich freue mich an Fuchsien und Pelargonien, an Skulpturen und Grün und vor allem an der Ruhe – das Wetter ist eigentlich zu schlecht für Spaziergänge –, gleichzeitig lasse mir von den ersten Feministinnen, von Simone de Beauvoir und Judith Butler erzählen. Im Alltag achte ich auf dieses Thema, bin allerdings nicht aktiv, eher schon abgeklärt. Aber mit dem podcast im Hinterkopf empfinde es doch als Hohn, während der Kaffeepause im Ega-Programm zu lesen: „Wovon vor allem kleine Jungen träumen: Ob Tipi, Planwagen, Indianer oder Marterpfahl, der Wilde Westen wird im Egapark lebendig.“ Und ein noch größerer Hohn ist, dass alle dazu sagen werden: „Na und?“

Aufgeschnappte Gespräche 8

Nachmittags, vor dem Café Schongang, zwei zwölfjährige Mädchen
„… dann musst du es zu Hause sofort an die Ladestrippe hängen …“

Die kleinen Triumphe der Stadtschreiberin

Offenbar bewege ich mich mittlerweile selbstbewusst genug: Zum dritten Mal fragen mich Touristen nach dem Weg. Beim ersten Mal muss ich nur Auskunft über den Eingang zur Kleinen Synagoge geben – direkt davor stehend. Beim zweiten Mal weise ich den Weg zur Engelsburg, aus der ich gerade komme. Die dritte Frage ist schon schwerer: die Mikwe, und sie liegt etwas versteckt. Aber auch diese Aufgabe meistere ich. Ich glaube, ich bin angekommen.