Annette Schröter: "NUN Papierschnitte 2008 – 2013"

05.12.2013 12:40

Die Leipziger Malerin Annette Schröter, bekannt geworden durch ihre kraftvollen, farbintensiven Gemälde, widmet sich seit über zwölf Jahren intensiv dem Medium Papierschnitt. Fragmente alter Industriearchitektur, Graffiti und Tags, Logos und Designs, Trachten, Blüten oder Details aus Gemälden und alten Fotografien – vieles wird bei ihr zum geschnittenen Bild.

Annette Schröter

Eine Frau, sitzend, in rot-karierten Kleidung. Dahinter eine Ausstellungswand.
Foto: Annette Schröter in der Ausstellung "NUN - Papierschnitte", im Hintergrund Prof. Schierz, der Direktor der Kunstmuseen der Landeshauptstadt Foto: © Stadtverwaltung Erfurt / D. Urban

Nicht eingelöste gesellschaftspolitische Utopien und Versprechen transportiert die Künstlerin inhaltlich genauso wie triviale Versatzstücke unserer Alltagskultur. Gleichzeitig überrascht sie mit einer Vielzahl neuer formaler und inhaltlicher Aspekte durch die Verbindung geschnittenen schwarzen Papiers mit Tapeten, Farbsprays und farbigem Acrylglas. In ihren mit hoher handwerklicher Finesse hergestellten Arbeiten, die zum Teil bis zu drei Meter Höhe messen und direkt an die Wand geheftet werden, gelingt ihr eine Renaissance dieses alten Mediums ganz auf der Höhe der Zeit.

Populäre Leit- und Wunschbilder

Annette Schröters Interesse gilt der Vielfalt von Leit- und Wunschbildern in unserer Gesellschaft, ihrer starken emotionalen Besetzung, medialen Omnipräsenz und Deutungsmacht, ihrer direkten wie einfachen Rhetorik, ihrem klischeehaften Gebrauch. Es geht in ihnen um Bekenntnisse: zu Heimat und Familie, Tradition oder Moderne; es geht um das traute Heim oder die verlockende Ferne, das ‚richtige‘ oder ‚falsche‘ Essen, Einkleiden, Musikhören, Arbeiten, Leben. Ungestillte Trost- und Harmoniebedürfnisse können sich in ihnen ebenso artikulieren wie sittliche und religiöse Ansichten. Neben Ideologen bedienen sich ihrer mit Vorliebe auch professionelle PR-Strategen. Jeweils eigenen Leit- und Wunschbildern – medial inszenierten Helden in passenden settings – streben die verschiedenen Jugend- und Popkulturen unserer Zeit nach. Dem Charakter dieser Leit- und Wunschbilder entsprechend, nutzt Annette Schröter die technischen und stilistischen Eigenarten des Papierschnitts für die Ausformung starker Kontraste, den plakativen Zusammenprall von Schwarz und Weiß, für die erhellende Zuspitzung von Widersprüchen.

Die Künstlerin ist, auch wenn sie sich der traditionellen und oft auch mit Begriffen wie „biedermeierlich“ und „kleinbürgerlich“ etikettierten Technik des Papierschnitts zuwendet, ganz an der Verarbeitung ihres Erlebens im Hier und Jetzt interessiert. Für diese starke Orientierung an den jeweils aktuellen Themen und Ereignissen, auch an den eigenen Beobachtungen im Alltag, steht der Titel ihrer Ausstellung (und auch ihres Buches): NUN. Mit imperativischem Nachdruck verweist uns „NUN“ auf alles das, was jetzt gerade passiert. Natürlich werden die vielfältigen Beobachtungen in unserer Gegenwart gebrochen durch die Übersetzung in eine visuelle Form, die der sachlichen Form der Reportage so gar nicht entspricht, sondern eher mit dem Anschein heiler Welten im Kleinen verbunden wird. Gerade diese Übersetzung schafft jedoch eine ästhetische Distanz, welche die jeweils eigene Beobachtung der uns umgebenden Wirklichkeiten mit neuen Perspektiven und neuer Energie versorgt.

Ausflüge in den Alltag und die Kulturgeschichte

Mit neugierigen wie vorurteilsfreien Blicken streift die Sammlerin Annette Schröter über Flohmärkte und durch den Alltag. Verblichene Moden, prägnante und skurrile Formen, Ornamente und Devotionalien – überhaupt Objekte, die für die unklaren Übergänge zwischen Kitsch und Kunst, Alltag und Kunst stehen, ziehen sie nachhaltig an. Eine Auswahl ihrer Sammlung präsentiert sie in Erfurt an der Wand und auf dem Boden. So laden Dutzende von auffällig ornamentierten Serviertabletts als Objets trouvés dazu ein, dem Phänomen der Abstraktion in Kunst und Alltag nachzugehen.

Aus der Grafischen Sammlung des Angermuseums werden zahlreiche historische Silhouettenbilder und Papierschnitte gezeigt, die Einblicke in die Traditionen jenes Mediums ermöglichen, das Annette Schröter für die Gegenwart neu interpretiert.

Historische Scherenschnitte beeindrucken vor allem durch ihren Reichtum in der Motivwahl. So findet man in der Erfurter Sammlung unter anderem Studentensilhouetten, Landschaftsmotive, literarische Adaptionen und Spitzenbilder mit religiösen Inhalten. Die Präsentation dieser historischen Papierarbeiten in der Ausstellung gibt den Betrachtern einen vergnüglichen wie lehrreichen Einblick in eine Facette unserer Kulturgeschichte, die durch Künstler wie Ludwig Richter, Philipp Otto Runge, Adele Schopenhauer, Karl Fröhlich, Paul Konewka, Alexander Olbricht, Friedrich Karl Schmidt und Paula Roesler zur Blüte kam.

Zur Ausstellung wird ein umfangreiches Begleitprogramm angeboten, dessen Inhalte Sie bitte dem Faltblatt entnehmen. An der Kasse des Museums können interessierte Besucher das Buch Annette Schröter: NUN, Papierschnitte/ Paper cuts 2008-2011, das im Verlag für moderne Kunst Nürnberg erschien, zum Museums-Vorzugspreis von 25 EUR erwerben. (Text Kai Uwe Schierz, Deutsch/Englisch, 128 Seiten, 80 Abb. in Farbe, Hardcover, ISBN 978-3-86984-291-2)