Die Geburtsstunde öffentlicher Bibliotheken und städtischer Schulen

16.04.2024 19:00 – 16.04.2024 21:00

Vor 500 Jahren veröffentlichte Martin Luther seinen Aufruf an die Ratsherren aller Städte im deutschen Sprachraum, christliche Schulen zu errichten. Um an Luthers Ratsherrenschrift zu erinnern, lädt die Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt alle Erfurterinnen und Erfurter zu einem Vortragsabend in die Hauptbibliothek am Domplatz ein.

Zeichnung von Kindern im Klassenzimmer aus dem Mittelalter
Grafik: © Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, 77 L 1006 (8)
16.04.2024 21:00

Die Geburtsstunde öffentlicher Bibliotheken und städtischer Schulen

Genre Veranstaltung
Veranstalter Stadtverwaltung Erfurt, Stadt- und Regionalbibliothek
Veranstaltungsort Stadt- und Regionalbibliothek, Domplatz 1, 99084 Erfurt
workTel. +49 361 655-1590+49 361 655-1590

Weitere Informationen

Stadtbahn Linie 3/4/6 - Haltestelle Domplatz, Stadtbus Linie 90 - Haltestelle Domplatz

Parkmöglichkeiten im Parkhaus am Domplatz

Alle Etagen sind mit dem Fahrstuhl erreichbar.

Ratsherrenschrift

Freie Bildung und öffentlich zugängliche Bibliotheken sind ein hohes und aus dem gesellschaftlichen Alltag nicht wegzudenkendes Allgemeingut und eine heute in Deutschland selbstverständliche Errungenschaft. Das war nicht immer so. Im ausgehenden Mittelalter hatten große Teile der Gesellschaft nur bedingt einen Zugriff auf Bildung. Bibliotheken als Wissensspeicher standen nur einem sehr kleinen Benutzerkreis offen. Auch wenn der Rahmen, der ausschließlich durch Stand und Herkommen herausgehobenen Eliten freien Zugang zu den zeitgenössischen Bildungsangeboten einräumte, im Spätmittelalter zunehmend aufgeweicht wurde, blieben Bildung und Wissenserwerb dennoch ein durch viele gesellschaftliche Hürden nur schwer aufzubrechendes Privileg. Doch führten wirtschaftliche Innovation und Handel im ausgehenden Spätmittelalter dazu, dass Bildung schrittweise in breiteren Kreisen Einzug hielt.

So gab es auch in Erfurt neben der Universität und den zahlreichen Stifts- und Klosterschulen sogenannte Winkelschulen, an denen, institutionell angesiedelt an den zahlreichen Erfurter Pfarreien, Schreiben und Lesen gelehrt sowie mathematische Grundkenntnisse vermittelt wurden. Über die traditionsreichen Bibliotheken hinaus, über die die Universität sowie die zahlreichen Kollegiatstifter und Kloster verfügten, werden dort zudem kleine und kleinste, auch den Pfarrinsassen in einem beschränkten Rahmen zugängliche Büchersammlungen existiert haben.

Für Martin Luther ging das nicht weit genug. Der freie Zugang zu Bildung und Büchern war für Luther ein zentrales Anliegen der von ihm losgetretenen Reformation, aus dem er einen allgemeinen, heranwachsende Jungen und Mädchen aller Stände bzw. Gesellschaftsschichten gleichermaßen einbeziehenden Bildungsauftrag ableitete. Mithilfe einer die Kenntnis der alten Sprachen sowie des Deutschen fordernden humanistischen Schulbildung sollte es nicht nur jeden möglich sein, selbst die heilige Schrift lesen und verstehen zu können. Zugleich verstand Luther eine gute Bildung auch als ein notwendiges erzieherisches Mittel, um den Einzelnen auf seinen künftigen Platz in der Gesellschaft adäquat vorzubereiten. In der Verantwortung sah Luther dabei die städtischen Amtsträger und Verwaltungen, die er in der Pflicht sah, das von ihm formulierte Bildungsprogramm umzusetzen. Darunter verstand Luther nicht nur, als Träger die institutionellen Voraussetzungen zu schaffen sowie Gebäude bereitzustellen. Insbesondere sollte die Kommunen mittel- und langfristig für eine ausreichende Finanzierung sorgen.

Programmatisch fasste Luther das in der seit Ende Februar 1524 als Flugschrift verbreiteten Ratsherrenschrift zusammen. Gerichtet an die Ratsherren aller deutschen Städte, ist sie ein mit Vehemenz vorgetragener Aufruf, weiterführende Schulen einzurichten, den Luther zugleich mit der Forderung verband, in den Kommunen öffentlich zugängliche Bibliotheken zu schaffen und dauerhaft zu unterhalten. Die breit rezipierte Schrift wurde im Erscheinungsjahr mehrfach nachgedruckt. In Erfurt selbst erschienen zwei Nachauflagen, was als ein Hinweis darauf zu verstehen ist, dass Luthers bildungspolitische Überlegungen auch in Erfurt auf ein großes Interesse stießen.

Luthers mahnenden Worte, mit denen er den städtischen Eliten seiner Zeit nicht nur ins Gewissen redete, sondern sie in die Pflicht nahm, entfaltete über Jahrhunderte hinweg eine für das Schul- und Bibliothekswesen im deutschen Sprachraum richtungsweisende Wirkung. Beschränkt blieb dieser Einfluss nicht nur auf unmittelbar dadurch initiierte Schul- und Bibliotheksgründungen. Vielmehr war und ist es der als Bildungsauftrag zu bezeichnende Grundgedanke, der den zeitübergreifenden Kern von Luthers Ratsherrenschrift ausmacht. Er bildete den Auftakt für einen heute alle Gesellschaftsschichten einschließenden freien Zugang zu schulischer Bildung sowie die niedrigschwellige Bereitstellung von Büchern in Form öffentlicher, allen Menschen zum freien und selbstbestimmten Wissenserwerb einladender Bibliotheken. Er hat, verbunden mit einer unmittelbar an die kommunalen Verantwortungsträger gerichteten Forderung, sich dieser Verpflichtung in ihrem Handeln immer bewusst zu sein, nicht an Aktualität verloren. Freie Bildung und frei zugängliche Bildungseinrichtungen stellen, wie es Johann Wolfgang von Goethe 1801 treffend mit Blick auf den Mehrwert von Bibliotheken zum Ausdruck brachte, ein unschätzbares Kapital dar, das unbemerkt unberechenbare Zinsen spendet.

Vortragende und Themen

In der Veranstaltung werden die beiden Erfurter Universitätsprofessoren Kai Brodersen und Andreas Lindner das Wort ergreifen, die Luthers Ratsherrenschrift sowie Luthers vielschichtige Beziehungen zu Erfurt eingehender beleuchten. Ergänzt werden die Wortmeldungen um einen Beitrag von Frank-Joachim Stewing, Direktor der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt, der einen Einblick in die Erfurter Bibliothekslandschaft in der beginnenden Frühneuzeit bieten wird.

Porträt von Kai Brodersen
Foto: © Universität Erfurt

LUTHERS AUFRUF ZUR GRÜNDUNG VON SCHULEN

- Kai Brodersen, Professur für Antike Kultur, Universität Erfurt -

1524 publizierte Martin Luther in Wittenberg ein Plädoyer für den Unterricht in den Alten Sprachen und für eine gute Geistesbildung. Er fordert die Ratsherren der Städte dazu auf, Schulen und Bibliotheken einzurichten. Noch im Jahr der Erstausgabe wurde das Werk zweimal in Erfurt gedruckt. Warum ist es noch heute wichtig?

Porträt von Andreas Lindner
Foto: © Universität Erfurt

VOM KLÖSTERLICHEN STUDIUM ZUR EVANGELISCHEN BILDUNG

- Andreas Lindner, apl. Professur für Kirchengeschichte, Universität Erfurt -

Der Vortrag stellt die Zusammenhänge zwischen Luthers Erfurter Bildungsbiographie an der Universität sowie im Konvent des Augustinereremitenklosters und seinen Vorstellungen eines evangelischen Schulwesens dar, wie er sie in den 1520er Jahren entwickelte.

Porträt von Frank-Joachim Stewing
Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

BIBLIOTHEKEN UND BUCHBESITZ IN ERFURT UM 1500

- Frank-Joachim Stewing, Direktor Stadt– und Regionalbibliothek Erfurt -

Thematisiert werden privater und institutioneller Buchbesitz im spätmittelalterlichen Erfurt und die sich zeitgleich greifbar formierende Erfurter Bibliothekslandschaft.

Anmeldung

Die Veranstaltung ist kostenfrei. Die Anzahl der Plätze ist begrenzt, deshalb ist eine Anmeldung per E-Mail oder telefonisch unter 0361 655-1590 erforderlich.

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