Fön-Kunstpreis 2013 ging an Norman Hera – Stellungnahme der Stadtverwaltung zum künstlerischen Plakat in der Kettenstraße

29.07.2013 18:00

Seitdem in der vergangenen Woche in der Kettenstraße ein Großplakat vom Kunst- und Kulturförderverein Fön e. V. an einem privaten Baugerüst angebracht und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, trafen bei der Stadtverwaltung mehrere Bürgerbeschwerden ein.

Die Kulturdirektion nimmt hierzu wie folgt Stellung:

Bei diesem Plakat handelt es sich um eine künstlerische Arbeit des Erfurter Fotografen Norman Hera mit dem Titel „Fashion Suicide #2 – Hanging”. Sie ist Bestandteil der Fotografieserie „Fashion Suicide“ und wurde beim diesjährigen Fön-Kunstpreis mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Im Rahmen des Fön-Kunstpreises wurden außerdem in zwei weiteren Kategorien Preise vergeben. Wie der Konzeption zu entnehmen ist – welche mit dem Antrag auf Förderung des Projektes bei der Stadtverwaltung vorliegt – werden die ausgezeichneten Arbeiten für vier Wochen in der Erfurter Innenstadt öffentlichkeitswirksam präsentiert. Die Arbeit von Norman Hera ist explizit als Kunstwerk ausgewiesen und ist die erste der drei auszustellenden.

Die Kulturdirektion hat genehmigungsrechtliche Fragen geprüft.

Des Weiteren wurde der Vorwurf, die Arbeit verstoße gegen das Jugendschutzgesetz untersucht. Hierzu kann die Bundesprüfstelle zitiert werden: "Nicht alles, was jugendgefährdend ist, darf ohne weiteres indiziert werden. § 18 Abs. 3 JuSchG enthält Ausnahmetatbestände, die im Rahmen eines Indizierungsverfahrens zu beachten sind. […] Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre können den Vorrang vor dem Jugendschutz beanspruchen." Zum Verhältnis von Kunst und Jugendschutz haben die höchsten Gerichte mehrfach Stellung genommen und dabei ihre Ansicht zu der Frage, wie Kunst und Jugendschutz miteinander zu vereinbaren sind, wiederholt geändert. "Die aktuellste Aussage ist der Mutzenbacher-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.11.1990 zu entnehmen: Kunst ist danach das Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Künstlers zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Dies ist unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers. Die Kunstfreiheit umfasst auch die Wahl eines jugendgefährdenden, z. B. Gewalt und Sexualität aufgreifenden Inhalts sowie dessen Verarbeitung nach der von dem Künstler selbst gewählten Darstellungsart.

Aus kunsthistorischer Sicht lässt sich ergänzend argumentieren, dass es ein ganzes Konvolut von Themen und Darstellungen gibt, die theoretisch gleichsam als jugendgefährdend gewertet werden könnten, die diesem Vorwurf aber nicht unterliegen: Lucretia (Suizid), Salome (Enthauptung), die Kreuzigung von Jesus Christus, die meisten Märtyrer-Darstellungen und vieles andere mehr. Diese Motive mit ihren oft verstörenden Darstellungen sind zu Ikonen der Kunstgeschichte geworden und damit Teil unseres kollektiven Bildgedächtnisses. Sie haben ihren Platz in den renommiertesten Sammlungen der Welt. Nicht selten sind aber auch diese Kunstwerke außerhalb des musealen Kontextes der Öffentlichkeit zugänglich z. B. über Publikationen, Werbung, Internet oder als Skulptur im öffentlichen Raum.

Die Arbeit von Norman Hera ist nicht gewaltverherrlichend. Sie spielt auf hohem ästhetischem Niveau mit dem Genre der inszenierten Fotografie (dem derzeit wichtigsten Genre der zeitgenössischen fotografischen Kunst), der Aspekt der Inszenierung in dieser künstlerischen Arbeit ist erkennbar. "Fashion Suicide" ist eine Serie, die die Überhöhung der Bedeutung von Mode und vermeintlichen modischen Fauxpas karikiert.

Die ausgelöste Diskussion widerspiegelt einen der Kunst im öffentlichen Raum möglichen immanenten Aspekt – den der Intervention. Damit fördert sie den gesellschaftlichen Diskurs. Im Fall der diskutierten Arbeit ist die künstlerische Intention die Auseinandersetzung mit Sprache und das Bewusstmachen unseres oft wenig reflektierten Umgangs mit ihr – wie u. a. in der TA vom vergangenen Mittwoch bereits dargestellt wurde. Durch Verunsicherung, das Unterlaufen bekannter Sehgewohnheiten wird unsere Aufmerksamkeit als Betrachter gefordert. Wir erhalten die Möglichkeit, in einen durch Kunst ausgelösten kommunikativen Prozess zu treten.

Es bestehen folglich keine kulturpolitische Veranlassung und auch kein rechtlicher Grund, gegen die Veröffentlichung des Plakats seitens der Stadtverwaltung einzuschreiten.