Zum Tode Henning Pawels

07.01.2022 11:33

Wie die Kulturdirektion erfahren hat, ist Henning Pawel tot. Der Journalist und Autor starb am 5. Januar 2022 im Alter von 77 Jahren.

Was bleibt nach dem Tode – Erinnerungen an Henning Pawel

Schwarz-Bild eines Mannes
Foto: Schriftsteller Henning Pawel Foto: © V. Dülver

Hubertus Röder aus der Kulturdirektion erinnert sich mit berührenden Worten an seinen früheren Chef und Mentor Henning Pawel:

Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung: Es war Anfang der 80er – ein Schild „Kultur“ an dem prächtigen Rokokohaus am Predigerplatz hatte meine Aufmerksamkeit geweckt. Also ging ich die schmalen, altersschwachen Treppen hinauf – vorbei am Standesamt Erfurt Mitte – bis unters Dach. Und dort, im allerletzten Winkel begrüßte mich freundlich Henning Pawel, fragte mich, wer ich bin und was ich wolle. Sofort war ich zweifach gefangen. Zuerst von seiner unglaublich einnehmenden und offenen Erscheinung, die Erfahrung und Weisheit aussendete, wie sie mir in dieser Weise nur noch einmal begegnet ist. Und es dauerte auch nicht länger als eine Stunde, da hatte er mich auch beruflich fest, für mein ganzes Leben eingefangen. Für seine Eulenspiegelinszenierung zum Volksfest Rund um die Krämerbrücke brauchte er jemanden, der ihm 12 überdimensionale Karikaturen als Fensterklappläden malen sollte. Konnte er so tief in mich hineinschauen oder was war es, dass er mir nach dieser einen Stunde die Hand reichte und sagte: „Du gehörst jetzt zu uns.“

Durch ihn hatte mein Weg in dieser einen Stunde eine völlig andere Wendung genommen, als es mein Studium vorgesehen hatte. Henning Pawel wurde für Jahre mein Chef, mein Lehrmeister, mein Mentor und mein Freund im Geiste – und das bis heute.

Und nun muss ich hören, er ist nicht mehr auf dieser Welt. Sein Tod hat mich erschüttert und ich frage mich in diesem Augenblick: Was bleibt nach dem Tode?

Für mich selber bleiben unglaublich viele Erinnerungen an Begebenheiten und Ereignissen in der Kultur Erfurts, die Henning Pawel aus dem Nichts in seiner unendlichen Fantasie- und Vorstellungswelt hervor gezaubert und dann realisiert hat. Und bestimmt nicht nur für mich bleibt, wie ein Chef sein kann: so unglaublich fordernd und inspirierend, zugleich streng und fast väterlich und dabei immer konsequent menschlich und gerecht.

Aber auch für viele, die Henning Pawel nicht persönlich kannten, bleibt so einiges in unserer Welt: Offensichtlich sind da die Geschichten und Bücher für Kinder und Erwachsene, die auf den Tischen in den Buchläden zu finden sind. Bleibend sind in den Archiven des Rundfunks seine Hörspiele. Sie waren sehr beliebt, hatten eine hohe Einschaltquote und unser Chef hatte sie geschrieben, also haben auch wir keine Folge samstags im Radio DDR I verpasst. Und natürlich bleibt für uns Erfurter ganz zuerst sein Krämerbrückenfest, mit seinem übergroßen identitätsstiftendem Potential, welches jedes Jahr aufs Neue erschlossen werden kann. Zum Glück hat das Krämerbrückenfest auch die Wendezeit überdauert und bietet ungezählte Möglichkeiten, Kunst und Kultur dieser wunderbaren Stadt zu präsentieren und damit Erfurt selber zu feiern. Wenn man etwas genauer hinschaut und das Gestern mit dem Heute vergleicht, besticht doch, wie viele Wurzeln aus den ersten Stadtbezirksfesten auch das heutige Stadtfest noch speisen und beleben. Hoffen wir – auch im Andenken an seinen Urheber, dass nach zweijähriger Zwangspause das Krämerbrückenfest in diesem Jahr endlich wieder eine Fortsetzung findet.

Was bleibt nach dem Tode? Eines will ich noch voller Dankbarkeit aufschreiben, weil es mich und mein Leben mit Kunst und Kultur, aber auch wieder Erfurt insbesondere bereichert hat. Henning Pawel hatte die Gabe, wie selbstverständlich nicht nur seine Erfahrungen, sein Wissen und seine Intuition weiterzugeben, sondern auch, was man nicht aus Büchern lernen kann: Den Enthusiasmus, für Kunst und Kultur zu brennen, für kleine und große Vorhaben manchmal auch eine Menge Mut zu investieren, einer vagen Idee mit Beharrlichkeit Flügel zu verleihen und das fast undenkbare dann auch mit eisernen Willen gegen alle Widerstände zu realisieren – das lernt man wahrscheinlich nur an der Seite einer solchen Autorität, wie Henning Pawel sie war. In diesem Sinne ist ein Stück Henning Pawel in sehr vielen Projekten und Events dieser Stadt.

Ich bin froh und dankbar, dass ich ihn damals unterm Dach im Rokokohaus getroffen habe. So mancher namhafter Quantenphysiker behauptet ja, dass die Seele auch nach dem Tod weiter existiert. Ich bin mir sicher, außerhalb der Physik ist es schon bewiesen: Zwar ist das Schild „Kultur“ am Predigerplatz schon seit Jahrzehnten abmontiert, aber neue Schilder „Kultur“ hängen nun am Haus Dacheröden auf dem Anger und am Benediktsplatz und ich weiß, die Seele von Henning Pawel ist dort mit eingezogen. Dies ist allemal ein Gewinn für einen selber und für die Stadt, wenn man auf diese Stimme hört.

Shalom Henning Pawel.

Über Hennig Pawel

Henning Pawel wurde 1944 in Mecklenburg geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Thüringen. Nach dem Abitur machte er eine Ausbildung als Repro-Fotograf, arbeitete als Berufskraftfahrer und studierte Jura und Kulturwissenschaften. Von 1974 bis 1983 war er Stadtbezirksrat für Kultur in Erfurt-Mitte. Seit 1983 schrieb er Texte für Kabarett und Volksfeste, arbeitete als Buch-, Funk- und Fernsehautor und war als Journalist tätig. Von 1989 bis 1992 war er außerdem Vorsitzender des Thüringer Schriftstellerverbandes und der Literarischen Gesellschaft Thüringens.

Pawel machte sich nicht nur als Schriftsteller einen Namen, er war auch von 1974 bis 1983 Stadtbezirksrat für Kultur in Erfurt-Mitte. In dieser Funktion konzipierte er 1975 mit dem damaligen Stadtbezirksbürgermeister Jochen Golldam ein Fest, um den ideellen und historischen Wert der Altstadt und besonders der Krämerbrücke zu betonen: Das noch heute im Juni stattfindende und mittlerweile überregional bekannte Krämerbrückenfest. 1975 hieß das zunächst 1. Stadtbezirksvolksfest „Rund um die Krämerbrücke“. Bis in die Gegenwart erhalten hat sich, dass das dreitägige Fest durch eine Posse mit Till Eulenspiegel – dem Maskottchen des Krämerbrückenfestes – eröffnet wird. Bis 1994 schrieb und inszenierte Pawel diese „Eulenspiegeleien“ selbst.

Pawels Name tauchte in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR auf. Er gab die Arbeit für die Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter mit dem Decknamen IM Oertel zu, betonte aber stets, nie einer Person geschadet zu haben und selbst seit 1965 beschattet, observiert und abgehört worden zu sein.

(Quellen: www.pawel-henning.de, Deutscher Literaturrat, Stadtverwaltung Erfurt)