Offener Brief von Erfurts Migrationsbeauftragtem Daniel Stassny

10.10.2023 15:52

Erfurts Beauftragter für Migration und Integration, Daniel Stassny, hat sich heute mit einem offenen Brief an die Thüringer Migrationsministerin Doreen Denstädt gewandt. Darin äußert er seinen Unmut über die katastrophale Flüchtlingspolitik des Freistaats Thüringen.

Sehr geehrte Frau Ministerin Denstädt,

die aktuelle Diskussion um die Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten in unserem Land erschüttert mich. Dies umso mehr, da ich mich bereits seit 2015 auf diesem humanitären Sektor engagiere. Als Mitinitiator von „Erfurt hilft“ – eine zum Großteil vom Ehrenamt getragene Hilfsaktion – weiß ich um das große Engagement von Bürgerschaft, Vereinen und Verbänden in Kooperation mit der Landeshauptstadt zur Integration der Geflüchteten.

Seit nunmehr fast einem Jahr trage ich Verantwortung als Erfurts kommunaler Beauftragter für Migration und Integration. Ich erlaube mir daher zu behaupten, dass ich die Problematik aus unterschiedlichen Perspektiven sachlich beurteilen kann.

Seit fast zehn Jahren liegt die Verantwortung im Freistaat Thüringen nun in rot-rot-grünen Händen und gerade Ministerpräsident Bodo Ramelow wird nicht müde, die Notwendigkeit von Zuwanderung und unserer humanitären Pflicht zur Gewährung von Unterkunft und Schutz für Geflüchtete zu betonen. Im Grundsatz ist dem nichts entgegenzusetzen und viele Menschen in unserem Land stehen hinter seinen Aussagen.

Auch in Erfurt sind neben unzähligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung und bei freien Trägern der Wohlfahrtspflege hunderte ehrenamtliche Helferinnen und Helfer im Einsatz, um Menschen, die zu uns kommen, Unterstützung und Beratung zu bieten und somit ganz wesentlich zu einer gelingenden Integration beitragen.

Leider geht die Migrationspolitik der Landesregierung immer öfter zulasten derer, die tagtäglich für menschenwürdige Bedingungen in den Unterkünften der Kommunen sorgen. Kurze Vorlaufzeiten bei Transfers aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, falsche Transferlisten, fehlende gesundheitliche Untersuchungen und nicht erfolgte Registrierung, aber vor allem auch die Menge an Menschen, die von Suhl in die Kommunen geschickt werden, überfordert nicht nur die hauptamtlichen Mitarbeitenden, sondern zunehmend auch die ehrenamtlich Helfenden.  

Ich stimme Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein zu, wenn er die Flüchtlingspolitik des Freistaats Thüringen als Katastrophe bezeichnet. Das Land hat seit der ersten Flüchtlingswelle 2015/2016 fast zehn Jahre untätig die Entwicklungen abgewartet, obwohl schon damals klar war, dass die Zahlen von Asylsuchenden nicht zurückgehen werden. Fast zehn Jahre, in denen die Kapazitäten des Landes hätten ausgebaut werden können, ein Migrationsamt zentrale Aufgaben hätte übernehmen können. Die Kommunen haben ihre Hausaufgaben gemacht, Unterkünfte und Sozialbetreuung werden vorgehalten. Die Kapazitäten sind aber endlich und in Erfurt erschöpft.

Ihre Ankündigung, sehr geehrte Frau Ministerin, die Kommunen nun noch stärker in die Pflicht nehmen zu wollen, klingt vor diesem Hintergrund wie eine Farce. Nicht nur die Unterbringung stellt uns in Erfurt vor große Herausforderungen. Die Menschen müssen auch betreut, mit Essen versorgt, medizinisch behandelt und vor allem auch traumatherapeutisch begleitet werden. Dies alles – meist sehr kurzfristig – zu organisieren, ist nicht nur vollkommen illusorisch, sondern schlichtweg nicht mehr realisierbar.

Es drängt sich mir die Frage auf, was sich die handelnden Personen denken? Nicht nur, dass hier entweder Unwissenheit oder Ignoranz zu beklagen sind – auch den Asylsuchenden gegenüber ist diese Vorgehensweise verwerflich. Um es klar zu sagen: Ein Wochenende ist nicht ausreichend, um eine umfängliche und angemessene Betreuung für über 100 Geflüchtete auf die Beine zu stellen.

Die Verantwortlichen in unseren Ämtern, bei freien Trägern und im ehrenamtlichen Bereich arbeiten professionell, weit über ihre Arbeitszeiten hinaus – und dennoch an der Kapazitätsgrenze. Wie lange dieses System noch funktioniert, wenn der Freistaat nicht endlich seine Pflichten wahrnimmt und Aufgaben in größerem Umfang übernimmt und die Unterbringungskapazitäten massiv ausweitet, möchte ich nicht vorhersagen. Fest steht aber: Wir verbrauchen gerade nicht nur unsere letzten Ressourcen – wir sind auch dabei, Verständnis und Zustimmung aufs Spiel zu setzen!

Sehr geehrte Frau Ministerin,

politisches Wahlkampfgetöse hilft in der jetzigen Situation nicht weiter. Nun ist es an der Zeit, Fehler einzugestehen und gemeinsam schnellstmöglich Lösungen zu erarbeiten, alle politischen Kräfte gemeinsam, Land und Kommunen. Nur so ist die Situation zu meistern. Gemeinsames Handeln, Entscheidungsfreude und die schnelle Lösung von Problemen tragen letztendlich auch zu mehr Akzeptanz und Toleranz bei den Zweiflern bei. Land und Kommunen müssen unter Beweis stellen, Herr der Lage zu sein.

Freundliche Grüße

Daniel Stassny
Beauftragter für Migration und Integration der Landeshauptstadt Erfurt