Tobias J. Knoblich: Aus Worten ergeben sich Botschaften

06.01.2014 16:08

"'Wie viele Worte braucht der Mensch?' ist durchaus mehrdeutig gemeint: Aus vielen (oder auch wenigen) Worten ergeben sich Botschaften", so Tobias J. Knoblich in seinem Vorwort zum Jahresthema 2014. "Vom Roman bis zum Haiku, einer knappen japanischen Gedichtform, von der Interjektion, einem Ach!, das eine Situation umfassend schildern kann, bis zum verzweifelten Schrei „Hilfe!“ spannt sich der Bogen präzisen und existentiellen Ausdrucks durch Sprache.", so vermittelt Erfurts Kulturdirektor seine persönliche Sicht in der Reihe "Standpunkte", die ab sofort monatlich Meinungen bekannter Persönlichkeiten zum kulturellen Jahresthema der Landeshauptstadt abbilden wird.

Aus Worten ergeben sich Botschaften

Ein Herr spricht ins Mikrofon.
Foto: Tobias J. Knoblich ist Kulturdirektor der Landeshauptstadt Erfurt Foto: © Stadtverwaltung Erfurt / D. Urban

Manchmal sind es viele Wörter, gelegentlich ist es nur eines.

Sprache steht für Verständigung und kommunikative Zuspitzung, für Überfluss, Variation und Inszenierung. Sie steht aber auch für eine Differenz zwischen den Menschen, für Vielfalt und Eigensinn kultureller Lebensräume, vom Dialekt und Slang bis zu den Sprachen der Völker. Die Welt besteht nicht aus Begriffen, die es nur zu wenden und zu übersetzen gilt, um den verbindlichen Sinn zu erhalten. Die Welt besteht aus Sprache, sie erfindet sich mit der Sprache. Der Inuit hat so viele Wörter für Weiß, wie er zur Kommunikation seiner dominant weißen Welt braucht, also viele. Wer eine Sprache lernt, lernt eine alternative Welt kennen. Wer liebt, der dichtet und sucht mehr als die Feststellung eines Sachverhalts, er multipliziert sein Gefühl mit Worten.

Mit den Worten erweitern wir unsere Welt, schaffen Dinge jenseits des Sichtbaren, dringen in geistige Dimensionen vor. Philosophie ist Sprache, wenn etwa Hegel sagt, das Schöne sei das sinnliche Scheinen der Idee. Worte erlauben uns den Ausdruck von Skepsis, sie geben uns Distanz zu den Dingen und zu anderen Menschen. Mit unserer Stimme markieren wir Bedeutung: der Sänger erhebt sie, das Publikum schweigt. Doch ist es manchmal nur die Stimme, die uns berührt, die Worte bleiben merkwürdig leer. Wie schön kann eine italienische Oper sein, ohne ein Wort verstehen zu können; das Auge und das Gefühl übernehmen die Übersetzungsleistung.

Gesprochen, gesungen, skandiert, geflüstert, gebrüllt, verschwiegen: das Wort kommt vielfältig über uns, berührt uns und macht uns Angst; aber auch sein Fehlen, die Sprachlosigkeit, gehört zu den Antworten auf unsere Frage.

Sprache schafft Verbindungen

Sprache schafft Verbindungen zwischen künstlerischen Ausdrucksformen oder etabliert gar neue, sei es im Sprechtheater, in der Oper, im Kunstlied oder Poetry Slam. Aber auch in der Bildenden Kunst finden Worte und (Schrift-)Sprache zu neuen Sinnzusammenhängen und eigenständigen ästhetischen Formen. Letztlich beobachten wir in dem Maße, wie etwa die Gegenstände in der Malerei abstrakter werden, eine Zunahme der Kommentarbedürftigkeit. Doch gibt es wohl keine Kunst, die nicht vom Kommentar lebt, denn so entsteht erst ein Bedeutungsgefüge bis hin zu einem Kanon. Viele Worte braucht die Kunst, denken wir etwa an Kataloge oder das Feuilleton.

Die biblische Botschaft „Am Anfang war das Wort“ lässt sich auch auf künstlerische Konzepte und Experimente beziehen. In ihr kommt die generative Kraft der Sprache zum Ausdruck, ihre Potenz im kulturellen Sinne. In Reinform begegnet uns die Kraft der Worte in der Literatur und Wissenschaft. Hier lohnt ein Blick auf in Erfurt gebürtige Intellektuelle wie Annemarie Schimmel, die große Orientalistin, die u. a. Gedichte aus Pakistan oder Indien übersetzte, oder Reinhard Lettau, der neben literarischen Arbeiten über die Montage von Zeitungsartikeln den „Täglichen Faschismus“ in den USA beklagte. Das Wort ist Transportmittel von Sinn und Ästhetik, etwa bei Übersetzungen in andere Sprachen. Worte grenzen aber auch aus, verletzen, stigmatisieren, heroisieren. Sie sind immer auch nach ihrer Rückseite zu befragen: Wo wird die Macht des Wortes gegen Menschen gelenkt, wo werden die Untiefen von Begriffen ideologisch genutzt? Vor Lettau ist dieser Frage in existentieller Betroffenheit Victor Klemperer mit seiner „Lingua Tertii Imperii“ (LTI) nachgegangen. „Wie viele Worte braucht der Mensch?“ zeigt daher nicht nur die wohlmeinenden und schönen Formen von Sprache, sondern soll sich auch kritisch mit ihrer Gewalt und ihrem Missbrauch auseinandersetzen.

Das letzte Wort hat das jeweilige Projekt, das sich des Themas annimmt. Man sollte im Vorfeld nicht zu viele Worte verlieren. Wer viel fragt, bekommt viele Antworten. Und das wollen wir doch hoffen.

Tobias J. Knoblich