Forschungen zu den "Erfurter Riesen"

22.06.2012 15:17

Kooperation mit der Freien Universität Berlin brachte erste Denkansätze zur Erforschung der Erfurter Hebräischen Handschriften.

Forschungsprojekt Hebräische Handschriften

Erste Denkansätze zur bevorstehenden Forschungsarbeit zu den Erfurter Hebräischen Handschriften wurden heute von einer Studentengruppe des Institutes für Judaistik der Freien Universität Berlin unter Leitung der Projektleiterin Dr. Annett Martini (links im Bild) in der Alten Synagoge Erfurt vorgestellt. Die Erforschung des mittelalterlichen Handschriften-Konvoluts erfolgt in Kooperation zwischen der Alten Synagoge Erfurt, der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, die Eigentümer der Handschriften ist, sowie der Freien Universität. Die   Gruppe der Studierenden hatte in den vergangenen Tagen in Erfurt gearbeitet.

Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Synagoge besteht seit 3 Monaten. Entwickelt wurden bisher Forschungsansätze, die in der Zukunft zu spannenden Erkenntnissen führen können. Insgesamt beschreibt die Berliner Projektleiterin Dr. Martini das einzigartige Konvolut an 15 hebräischen Schriften, die bis zum Pogrom von 1349 im Besitz der jüdischen Gemeinde Erfurts waren, als "Superlative". Die "Bibel Erfurt I" ist weltweit die größte hebräische Bibel, auch die Thora, die fünf Bücher Mose enthält, zählt zu den "Erfurter Riesen". Nur zehn mittelalterliche Thorarollen sind aus Aschkenas (Die Bezeichnung Aschkenas - hebr. ‏ אשכְּנז- bezeichnete Deutschland in der mittelalterlichen rabbinischen Literatur) überliefert, die Erfurter Thora (in der Alten Synagoge ist ein Faksimile zu sehen) ist eine der ältesten und größten. Dem gegenüber ist die Erfurter Tosefta, (aramäisch: תוספתא) ein Kompendium der mündlichen Überlieferungen und Traditionen des Judentums aus rabbinischer Zeit, eine von drei noch existierenden Handschriften auf der gesamten Welt. Sie ist die älteste der Handschriften und stammt aus dem 12. Jahrhundert. Die beiden anderen Handschriften befinden sich in Wien (Nationalbibliothek Wien, cod. hebr. 20 aus dem frühen 14. Jh.) und London (British Museum, Add. 27.296 aus dem 15. Jh.).

Forschungsprojekt Hebräische Handschriften

Durch den Umfang der erhaltenen Schriften sei, so Martini, zudem noch viel über die Erfurter mittelalterliche Gemeinde zu erfahren. Die Originale sind bisher kaum erforscht. Interessant ist für die Studierenden zunächst die Schriftgenese (Schriftentstehung). Wer waren die Schreiber, wer die Auftraggeber? Gibt es einen Schreiberwechsel?
Spannend sind für die Forschung auch die Mikrographien der Bibeln Erfurt I und II, besonders der masoretische Text - insbesondere im Bezug zum Bilderverbot. (masoretisch - von hebr. מסורה masora: "Überlieferung" / Das Bilderverbot untersagt aus religiösen Gründen bildliche Darstellungen.) Im Weiteren interessieren sich die Berliner Studenten für Konzepte sakralen Schreibens, denn ein großer Teil der Erfurter hebräischen Handschriften sind rituelle Texte. Betrachten kann man hier die Regeln, wie Texte zu schreiben waren, Verzierungen, das Material. Diese Fragen seien bisher so gut wie nicht erforscht, so Martini, man bekäme aber bei der näheren Betrachtung Einblicke in die Schreibstube des Erfurter Schreibers. -

Die Erfurter Hebräischen Handschriften, die nach 1349 in den Besitz des Stadtrats, später ins Augustinerkloster und von dort 1880 in die Königliche Bibliothek zu Berlin gelangten, sind heute Eigentum der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz. Auszüge aus denselben werden zukünftig auch auf der Internetseite des Jüdischen Netzwerkes zu sehen sein.
Abschließend unterstrich Stadtmuseumsdirektor Hardy Eidam anhand der außergewöhnlich wertvollen Sammlung noch einmal die Bedeutung der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde selbst. Sie sei "hochpotent, reich und selbstbestimmend" gewesen.