60 Jahre Elefanten im Zoopark

07.08.2020 10:03

Spricht Frank Quensel über seine Arbeit als Elefantenpfleger, klingt es so, als ob er im Thüringer Zoopark Erfurt als Dompteur tätig gewesen ist.

Bis heute waren insgesamt 15 Dickhäuter in Erfurt zu Hause

Drei Elefanten hintereinander beim Spaziergang. Menschen stehen am Straßenrand.
Foto: Elefantenwanderung über das Zoogelände im Jahre 1965. Foto: © Stadtverwaltung Erfurt/Stadtarchiv

„Paradeschritt“, „Niederknien auf den Vorderbeinen“, „Balken tragen“ – all das habe Elefantenkuh Marina unter seiner Ägide beherrscht. „Ich hatte eine komplette Nummer, die eine viertel Stunde lang war“, erzählt der Senior nicht ohne Stolz. Heute sind solche Zirkusstückchen undenkbar, weil sie unvereinbar sind mit artgerechter Tierhaltung. Doch so war es halt in den 60er Jahren, als die intelligenten Dickhäuter beschäftigt werden mussten und Zooparkbesucher eine Show erwarteten. Damals war es auch Usus, dass die Elefanten mit Quensel quer durch das Gelände wanderten und Blätter von den Bäumen vorm Verwaltungsgebäude naschten. Sogar in Kindergärten und in der nahen Neubausiedlung war er mit den Tieren unterwegs. 2014 wurde hingegen für den wenige Hundert Meter weiten Umzug vom alten ins neue Elefantenhaus ein Spezialtransporter aus den Niederlanden bestellt. Allein daran erkennt selbst der Laie, dass sich die Erfurter Elefantenhaltung innerhalb von 60 Jahren komplett verändert hat.

Elefantenbaby im Stall
Foto: Erster Elefantennachwuchs im Thüringer Zoopark Foto: © Thüringer Zoopark Erfurt

Heute gibt es ein Elefantenhaus der Superlative mit einem 11.000 Quadratmeter Freigelände, dem größten in Deutschland für afrikanische Elefanten. Als Marina 1960 vom damaligen Zoodirektor Prof. Harald Roth persönlich aus Belgisch-Kongo geholt wurde, war lediglich klar, dass sich das Gelände am Roten Berg zur Elefantenhaltung eignet. „Früher war es leider so, dass man erst die Fische gekauft und dann das Aquarium eingerichtet hat“, beschreibt es der frühere Zoodirektor Dr. Norbert Neuschulz bildhaft. Die ersten zwei Jahre kam das Jungtier in einem provisorischen Verschlag auf dem zooparkeigenen Bauernhof unter. Dort stand Marina Nacht für Nacht mutterseelenallein, eine schwere Eisenkette am Fuß – und aus heutiger Sicht Tierquälerei. Elefanten sind Gemeinschaftstiere. Zwei Jahre lang fristete sie ihr einsames Dasein, bis Jungbulle Assam nach Erfurt geholt wurde, ein asiatischer Elefant. Von da an gab es zumindest Gesellschaft. Dafür wurde der Platz im Stall immer knapper. Bis zu sieben Elefanten drängelten sich in den Folgejahren dort, darunter auch ehemalige Zirkuselefanten. Nachts standen die mächtigen Tiere angekettet im heutigen Ponystall. Tagsüber wurden sie von den Pflegern zum provisorischen Freigelände auf dem Plateau geführt und dort den Tag über bei Laune gehalten.

Für die Elefantenpfleger übrigens war die damalige Haltung nicht ungefährlich. Die selbstbewusste Marina und der stürmische Assam trugen so manchen Kampf aus. Frank Quensel versuchte das zu unterbinden, indem er selbst dazwischen ging. Im November 1968 trug ihm das einen Rüsselhieb von Assam ein. Quensel verlor den Halt und knallte auf eine Betonkante, wurde verletzt. Da er zu der Zeit der einzige Elefantenpfleger war, brachte er die Tiere noch selbst quer durch den Zoo in den Stall zurück. „Danach war finito, sechs Wochen krank“, sagt Quensel lapidar. 

Assam, der später immer unbändiger wurde, musste 1970 erschossen werden. Er war für lange Zeit der einzige Elefantenbulle in Erfurt, bis vor ein paar Jahren Kibo einzog.          

Insgesamt haben in den vergangenen sechs Jahrzehnten bis heute 15 Elefanten im Erfurter Zoo, der ein Eigenbetrieb der Stadtverwaltung Erfurt ist, gelebt. Viele Erfurter verbinden mit den Elefanten liebgewonnene Namen ihrer Kindheit: Marina, Safari, Seronga, Csami, Chupa. Jede Generation verglich und vergleicht ihr Alter mit einem der Tiere. „Mami, der Elefant ist so alt wie ich“ ist ein vielgehörter Satz. Kein Wunder, dass sich jede Menge Freiwillige fanden, die ab 1969 die Unterbringungsmisere im Zoo zu lösen. In Wochenendarbeit und mit viel ehrenamtlichem Engagement arbeiteten sie an einem Elefantenhaus, 15 lange Jahre. 1984 wurde das neue Elefantenhaus samt Außenanlage eröffnet, die Elefanten hatten nun ein adäquates Zuhause, das allerdings auch bald wieder zu klein wurde. Die Regularien für Wildtierhaltung wurden europaweit immer weiter verschärft. So kam es, dass 20 Jahre später die Millionen teure heutige Anlage eröffnet wurde, die Erfurt in die erste Liga der Elefantenhaltung katapultierte. „Das ist auch der richtige Weg, dass Elefanten nicht mehr arretiert werden nachts, sondern sich frei bewegen können in den Außenanlagen“, meint Dr. Norbert Neuschulz, der sich akribisch mit der Elefantenhaltung im Wandel der Zeit beschäftigt hat.

Natürlich ist auch der Umgang der Tierpfleger mit den Elefanten heute ein vollkommen anderer. Früher waren sie eine Art Zirkustiere, die aus Sicherheitsgründen bedingungslos zu gehorchen hatten. Heute sind es Individuen, die einen eigenen Kopf haben dürfen. Der Wechsel vom direkten zum geschützten Kontakt war ein Meilenstein in der Elefantenhaltung, wie die aktuelle Zooparkdirektorin Dr. Dr. Sabine Merz sagt. „Da ist immer eine Barriere, eine Wand, ein Trainingsgitter zwischen den Elefanten und den Tierpflegern. Und die Elefanten werden gefragt, ob sie Lust haben mitzumachen bei einem medizinischen Training zum Beispiel.“ Über kleine Belohnungen bekommen die Pfleger die Tiere in den Griff.

Für Haltungsexperte Neuschulz ist der geschützte Kontakt die bessere Lösung. „Ihnen fehlt nichts, auch wenn sie den direkten Kontakt zum Menschen nicht haben“, sagt er. Und selbst Frank Quensel gibt zu, dass der heutige Umgang mit den Tieren richtig ist. „Aber auch langweiliger als früher“, meint er schmunzelnd.