Ein Gedenkort für die Opfer des NSU am Thüringer Landtag. Präsentation des Gestaltungswettbewerbs
Ein Gedenkort für die Opfer des NSU am Thüringer Landtag. Präsentation des Gestaltungswettbewerbs
Der Wettbewerb wurde von der Thüringer Staatskanzlei ausgelobt. Mit der Durchführung wurde die Agentur Fiebig Schönwälder Zimmer, Architektur und Stadtplanung, Berlin beauftragt. Zu Anlass und Ziel des Wettbewerbs schreibt die Thüringer Staatskanzlei:
Zwischen 1999 und 2007 ermordete die rechtsextremistische Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)" aus rassistischen Motiven zehn Menschen und verübte drei Sprengstoffanschläge mit zahlreichen Verletzten. Die Täter/-innen stammten aus Jena, wo sie sich Anfang der 1990er Jahre der erstarkenden Neonazi-Szene anschlossen. Aufgrund fehlerhafter und wenig konsequenter Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden in Thüringen konnten die drei Rechtsextremen Ende des Jahrzehnts untertauchen. In der Illegalität gründeten sie schließlich den NSU, wobei Gleichgesinnte das Trio in den folgenden Jahren auf vielfältige Weise unterstützten.
Nach der Enttarnung der Terrorzelle im November 2011 setzte sich der Thüringer Landtag in zwei Untersuchungsausschüssen mit der Rolle des Freistaats bei dem NSU-Komplex intensiv auseinander. Mit Blick auf die Herkunft der Täter und die schwerwiegenden Versäumnisse der eigenen Sicherheitsbehörden empfahl der Untersuchungsausschuss 5/1 die Errichtung eines Erinnerungsortes für die Opfer des NSU. Auf Grundlage dieser Empfehlung bat der Landtag in seinem Landtagsbeschluss 6/4577 vom 29. September 2017 die Landesregierung eine solche Stätte zu errichten.
Der Erinnerungsort soll in unmittelbarer Nähe zum Landtag auf dem Beethovenplatz in Erfurt entstehen. Für dessen Ausgestaltung und Umsetzung wurde von der Thüringer Staatskanzlei im Mai 2022 ein Wettbewerb ausgelobt.
Dessen Eckpunkte lauteten:
- Ziel ist eine landschaftsarchitektonische und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Aufgabe besteht in der gestalterischen Formulierung eines Objektes, räumlichen Zäsur und/ oder Installation im Sinne einer modernen Mahnmal- und Erinnerungskultur im öffentlichen Raum.
- Gewünscht sind künstlerische Projekte und Installationen, die durch eine dem Thema angemessene ästhetische Anmutung und Positionierung den Stadtraum bereichern und ein würdiges Gedenken an die Opfer der beispiellosen Mord- und Anschlagsserie ermöglichen. Zudem soll der Erinnerungsort eine öffentliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland anregen.
- Die Entwürfe sollen die zentralen Gestaltungsprinzipien des denkmalgeschützten Beethovenplatzes berücksichtigen. Zu diesen gehören insbesondere die weite, innenliegende Wiesenfläche und die rahmenden Gehölzbepflanzungen.
- Das Kunstwerk soll einen dauerhaften Charakter erhalten und einen geringen Pflege- und Wartungsaufwand sowie möglichst wenige Eingriffe in den Baugrund erfordern. Die öffentliche Nutzung des Parks soll nicht beeinträchtigt werden.
- Für die Gestaltung des Erinnerungsorts stehen insgesamt 200.000 Euro (netto) zur Verfügung.
- Das Wettbewerbsverfahren orientiert sich an den Richtlinien für Planungswettbewerbe (RPW 2013) und wird bis zum Abschluss anonym durchgeführt.
Das Preisgericht hat am 14. Oktober 2022 unter Vorsitz von Frau Leonie Baumann in Erfurt getagt.
Fachpreisrichter/-innen
Leonie Baumann, Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds Berlin
Thorsten Goldberg, Künstler, Berlin
Prof. Ana Viader-Soler, Landschaftsarchitektin, Dresden
Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland, Kunstwissenschaftlerin, Jena
Prof. Dr. Sigrun Langner, Landschaftsarchitektin, Weimar
Dr. Sascha Döll, Leitung Garten- und Friedhofsamt, Erfurt
Dr. Eva Lemsch, Stadt Erfurt
Sachpreisrichter/-innen
Tina Beer, Staatssekretärin für Kultur, Thüringer Staatskanzlei, Erfurt
PD Dr. Annegret Schüle, Leiterin Erinnerungsort Topf & Söhne, Erfurt
Prof. Dr.-Ing. Reinhold Zemke, Dekan der Fakultät Architektur und Stadtplanung, FH Erfurt
Seda Basay-Yildiz, Rechtsanwältin, Frankfurt/ Main
Frank Niebur, stellvertretender Direktor des Thüringer Landtags, Erfurt
Philipp Neumann-Thein, stellvertretender Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Sachverständige
Dr. Martin Baumann, Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Erfurt
Prof. Barbara John, Ombudsfrau für die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU, Berlin
Taha Kahya, Mitarbeiter Ombudsfrau, Berlin
Michaela Hirche, Verband bildender Künstler Thüringen, Erfurt
Die Arbeit "Schattenwurf" wurde eingereicht von Dagmar Korintenberg + Wolf Kipper, Stuttgart (Kunst) und realgrün, München (Landschaftsplanung)
Erläuterung der Gestalter/-innen
Sechs Torbögen aus pulverbeschichtetem Vierkant-Stahl tragen eine Ansammlung von Stahlstreifen. Aus zehn dieser Elemente sind die Namen der Mordopfer des NSU herausgelasert, sodass durch die Namen das Sonnenlicht scheint und sie so zu Schattenschablonen werden. Je nach Wetterlage und Sonnenstand werden die Namen am Boden abgebildet, fallen aber auch auf die im Erinnerungsort stehenden Besucher:innen. Andere Streifen sind nicht mit Namen versehen, diese werfen weitere Schatten, welche für die Opfer der rassistischen Gewalttaten des NSU stehen, die schwer verletzt und traumatisiert wurden.
Informationen und Audio-Elemente
Informationstexte zu den terroristischen Anschlägen des NSU zwischen 1999 und 2007 finden sich auf den 15 cm breiten Innenflächen der Torbögen.
Ein QR-Code befindet sich ebenfalls auf den Gedenkstützen für die Anschlagsopfer, welcher auf eine Microsite weiterleitet. Hier werden Audio-Elemente und weitere Informationen bereitgestellt. Diese können von den Besucher/-innen mit ihren Smartphones abgerufen und über Kopfhörer oder den im Telefon integrierten Lautsprecher angehört werden.
In den Audioaufnahmen möchten wir Angehörige einladen, Erinnerungen zu den Mordopfern der Terroranschläge zu teilen – Aussagen, die den Menschen in den Vordergrund stellen,
Angehörige, die bereit sind, auf diese Weise zur Gestaltung des Erinnerungsortes und zum Gedenken an die geliebte Person selbst beizutragen.
Wünschen die Angehörigen keinen Sprachbeitrag wird eine Tonspur mit Umgebungsgeräuschen am Anschlagsort erstellt. Die Aufnahmen sollen im alltäglichen Lebensumfeld oder an den Anschlagsorten aufgenommen werden. Hintergrundgeräusche nehmen die Hörer/-innen so auf der Audiospur mit – es entsteht eine akustische Brücke zwischen dem Erinnerungsort und den jeweiligen Anschlagsorten.
Lage und Positionierung
Als städtebaulicher und gestalterischer Auftakt einer "Repräsentationsachse" ist der Beethovenplatz geprägt durch die aus der Grundkonzeption erhaltene Geometrie und Axialität der in den 1920er Jahren gestalteten Ursprungsanlage. Der Erinnerungsort nimmt diese Achse auf und positioniert sich im Vorbereich der Treppenanlage. Das Mahnmal fügt sich in das Ensemble und wird als Teil der Grünanlage wahrgenommen. Durch seine luftige Konstruktion aus filigranen Torbögen und den verbindenden Streifen wird ein dreidimensionaler, allseits offener Ort definiert, der aus allen Richtungen barrierefrei durchgangen werden kann. Die bestehenden Wege- und Sichtachsen und die öffentliche Nutzung der Parkanlage werden nicht beeinträchtigt. Zur Integration des Erinnerungsortes in die Parkanlage trägt auch die reduzierte Material- und Formensprache bei, die wassergebundene Decke wird beibehalten und die Punktfundamente minimieren die Eingriffe in den Baugrund.
Konstruktion, Materialien, Dimensionierung, Oberflächen
Die Stützen der aus Torbögen (Rahmen) aufgebauten Stahlkonstruktion werden in Punktfundamente einbetoniert. Durch diese eingespannte Konstruktionsweise kann auf Windverbände im sichtbaren Bereich des Mahnmals verzichtet werden. Die horizontalen Streifen werden mit den Torbögen verschraubt.
Beurteilungstext des Preisgerichts
Das Thema des Verfahrens der Gestaltung einer Stätte der Erinnerung und Mahnung für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Erfurt wurde überzeugend umgesetzt. Durch die gewählte Gestaltung des Erinnerungsortes wird der Schatten aufgenommen, der durch die NSU-Morde auf vielen Bereichen der Gesellschaft liegt.
Aus zehn Stahlelementen sind die Namen der Mordopfer des NSU herausgelasert, sodass durch die Namen das Sonnenlicht scheint und sie so zu Schattenschablonen werden. Je nach Wetterlage und Sonnenstand werden die Namen am Boden, auf dem Weg der Besucher/-innen von der Busankunft zum Landtag, abgebildet. Die durch das Licht entstehenden Namen fallen aber auch auf die sich im Erinnerungsort aufhaltenden Besucher/-innen. Andere Streifen sind nicht mit Namen versehen, diese werfen weitere Schatten, welche für die Opfer der rassistischen Gewalttaten des NSU stehen, die schwer verletzt und traumatisiert wurden.
In der technischen Umsetzung stellt sich die Frage nach der "richtigen" Schablonen-Schrift, die einen optimalen Schattenwurf erzeugt.
In der Arbeit 1060 finden sich Informationstexte zu den terroristischen Anschlägen des NSU zwischen 1999 und 2007 auf den 15 cm breiten Innenflächen der Torbögen. Zusätzlich soll ein QR-Code, der sich ebenfalls auf den Gedenkstützen für die Anschlagsopfer befindet, auf eine Webseite weiterleiten. Hier sollen Audio-Elemente und weitere Informationen bereitgestellt werden. Zur Bereitstellung und Abstimmung der Inhalte (Text und Audio), um auch die Thematik des "Staatsversagens" besser in die ausgezeichnete Arbeit zu integrieren, empfiehlt das Preisgericht einen Abstimmungsprozess unter der Federführung des Auslobers.
Medieninformation der Thüringer Staatskanzlei zum Gedenkort für die Opfer des NSU
Staatssekretärin Beer: Gedenkort ist ein bedeutsames erinnerungskulturelles Vorhaben
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