„Ihr sollt die Wahrheit erben“ – Lesung und Gespräch mit Anita Lasker-Wallfisch

28.01.2019 19:00 – 28.01.2019 21:00

Die Veranstaltung Ist leider ausgebucht!

Anita Lasker-Wallfisch überlebte das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau als Cellistin im Mädchenorchester. Sie berichtet im Erinnerungsort von Auschwitz, vom Überleben und vom Neuanfang als Musikerin. Ihr Enkelsohn Simon Wallfisch wird seine Großmutter in Erfurt begleiten, gemeinsam mit ihr und dem Publikum ins Gespräch kommen und den Abend mit seiner Musik umrahmen.

Eine ältere Frau sitzt auf einem Stuhl.
Foto: © Blanka Weber
28.01.2019 21:00

„Ihr sollt die Wahrheit erben“ – Lesung und Gespräch mit Anita Lasker Wallfisch

Genre Veranstaltung
Veranstalter Stadtverwaltung Erfurt, Erinnerungsort Topf & Söhne
Veranstaltungsort Erinnerungsort Topf & Söhne, Sorbenweg 7, 99099 Erfurt
workTel. +49 361 655-1681+49 361 655-1681

Anita Lasker-Wallfisch, geboren 1925 in einer jüdischen Familie in Breslau, erhielt schon früh ihren ersten Cello-Unterricht. Ihr Vater Dr. Alfons Lasker war als Notar tätig, seine Frau Edith war Geigerin. Weil sich die nichtjüdischen Cellolehrer nach 1933 in Breslau weigerten, Anita zu unterrichten, wurde die 13-jährige 1938 nach Berlin geschickt. Dort wurde sie von Leo Rostal unterrichtet, der als Jude selbst nur noch im Jüdischen Kulturbund tätig sein durfte. Sämtliche Auswanderungsversuche der Familie Lasker schlugen fehl, nur die älteste Schwester Marianne konnte im letzten Moment noch nach England entkommen. Im April 1942 wurden beide Eltern von Breslau aus in das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin deportiert. Vermutlich wurden sie in den Vernichtungslagern Bełżec oder Sobibór ermordet. Auch die Großmutter von Anita und weitere Verwandte wurden deportiert und ermordet.

Anita und ihre eineinhalb Jahre ältere Schwester Renate mussten Zwangsarbeit in einer Papierfabrik leisten. Indem sie dort bei der Anfertigung gefälschter Papiere mitwirkten, verhalfen sie in der Fabrik eingesetzten französischen Kriegsgefangenen zur Flucht. Ein eigener Fluchtversuch mit ebenfalls selbst gefälschten Papieren, dessen Ziel die unbesetzte Zone in Frankreich war, scheiterte im September 1942. Die Schwestern wurden verhaftet und ins Gefängnis von Breslau gebracht. Ende 1943 wurden Anita, kurz darauf auch Renate nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

Der 18-jährigen Anita gelang es, als Cellospielerin in das sogenannte Mädchenorchester aufgenommen zu werden und damit ihr Leben und das ihrer Schwester zu retten. Die Musikerinnen mussten den Auszug der Häftlinge am Morgen und ihre Rückkehr ins Lager am Abend begleiten. Gespielt wurden Märsche und marschartige Volkslieder, und zwar im Freien am Lagertor, bei jedem Wetter und im Anblick der geschundenen Häftlinge und der rauchenden Schornsteine. Tagsüber wurde geprobt oder an den Arrangements für die skurrile Besetzung des Orchesters gearbeitet. Sonn- und feiertags sowie zu Extraanlässen mussten Konzerte mit aktuellen Schlagern oder Stücken aus Operetten  und Opern gegeben werden. Anita Lasker-Wallfisch erinnert sich, dass sie einmal die Träumerei von Robert Schumann speziell für SS-Hauptsturmführer Dr. Josef Mengele hat spielen müssen.

Foto: © Blanka Weber

Als die SS angesichts der herannahenden sowjetischen Truppen das KZ Auschwitz zu räumen begann, wurden Anita und Renate nach Bergen-Belsen transportiert. Dieses KZ, ab Ende 1944 Ziel von Räumungstransporten aus frontnahen Konzentrationslagern, wurde nun zum "Sterbelager". Vor allem Hunger und Seuchen kosteten in den letzten vier Kriegsmonaten über 35.000 Menschen das Leben. Auch die Schwestern Anne und Margot Frank, die ebenfalls aus Auschwitz nach Bergen-Belsen gebracht wurden, gehörten zu den Opfern.

Am 15. April 1945 wurde Bergen-Belsen von britischen Truppen befreit. Fünf Tage später legte Anita Lasker als eine der ersten Holocaust-Überlebenden in einer britischen Radiosendung Zeugnis über die Verbrechen im KZ Auschwitz ab. Die Schwestern lebten in einem neu errichteten Camp für Displaced Persons, Überlebende der Lager und Verschleppte, das sich neben dem ehemaligen KZ Bergen-Belsen befand. Nachdem für sie ein Cello aufgetrieben worden war, trat Anita Lasker dort in Konzerten auf. Im September 1945 stellte sie sich als Zeugin beim ersten Kriegsverbrecherprozess zur Verfügung. Er fand in Lüneburg vor einem britischen Militärgericht statt und markiert den Beginn der juristischen Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen.

Ende 1945 gelangten beide Schwestern mit falschen Papieren nach Belgien und von dort 1946 nach England. Anita Lasker nahm ein geordnetes Musikstudium auf und wurde Mitbegründerin des Chamber Orchestra in London. Sie heiratete den ebenfalls aus Breslau stammenden Pianisten Peter Wallfisch. Erst 40 Jahre später konnte sie über ihre Erfahrungen sprechen und ihre Geschichte und die ihrer Familie für ihre Kinder aufschreiben. Daraus entstand ihr Buch Ihr sollt die Wahrheit erben, das zuerst auf Englisch erschien und inzwischen in zahlreiche Sprachen übersetzt ist. Anita Lasker-Wallfisch hatte sich geschworen, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Erst nach 44 Jahren reiste sie wieder nach Deutschland, um mit dem English Chamber Orchestra unmittelbar in der Nähe des ehemaligen KZ Bergen-Belsen zu spielen.

Am 31. Januar 2018 lud der Deutsche Bundestag Anita Lasker- Wallfisch als Hauptrednerin zu seiner Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz ein. Nun kommt Anita Lasker-Wallfisch nach Erfurt. Sie wird von ihrer Zeit im Mädchenorchester in Auschwitz berichten, vom Überleben und vom Neuanfang als Musikerin. Auch ihr Sohn Raphael ist heute ein gefeierter, internationaler Cellist, ebenso ihr Enkelsohn Simon. Er wird seine Großmutter in Erfurt begleiten, gemeinsam mit ihr und dem Publikum ins Gespräch kommen und den Abend mit seiner Musik (Cello und Gesang) umrahmen. Moderiert wird die Veranstaltung von der Journalistin Blanka Weber.

Eine Veranstaltung im Rahmen des DenkTages der Konrad-Adenauer-Stiftung, mit einem Grußwort der Schirmherrin Marion Walsmann.

Die Veranstaltung ist leider ausgebucht, kann aber im Live-Stream verfolgt werden.