Offene Replik auf den „Offenen Brief zur dramatischen Situation der Kultur in Erfurt“ der CDU-Fraktion im Erfurter Stadtrat

07.12.2016 18:45

Sehr geehrte Frau Walsmann, sehr geehrte Frau Hentsch,
sehr geehrter Herr Dr. Kasper, sehr geehrter Herr Hose,

vielen Dank für Ihre offenen Wort und die Bereitschaft, gemeinsam mit der Verwaltung und den anderen Stadträten, notwendige Sparmaßnahmen zum Wohle der Stadt in Angriff zu nehmen. Gerne kommen wir hiermit Ihrer Bitte um eine öffentliche Antwort nach.

Wie Sie richtig feststellen, ist Erfurt eine Kulturstadt und die Erfurter Kul­turlandschaft ein wichtiges Gut. Sie schreiben: „Die Entscheidung über das Haushaltssicherungskonzept rammt Pflöcke für die nächsten Generationen ein. Das Schließen von Museen, historischen Häusern oder das Verschwinden von Kulturvereinen wäre eine Hypothek für die kommenden Generationen“. Darauf können wir schlicht erwidern: Das Ignorieren bestehender Haushalts­probleme, das Zögern bei der Setzung von Schwerpunkten und die bewusste Provokation einer Zwangsverwaltung, das kommt einer Hypothek für die kommenden Generationen gleich. 

Das Haushaltssicherungskonzept ist eine von der Verwaltungsspitze einge­brachte Diskussionsvorlage für den Stadtrat. Die institutionell geförderten freien Kulturträger wurden zur Anhörung eingeladen und werden sich posi­tionieren können. Die Debatte wird zeigen, was an Vorschlägen tatsächlich umgesetzt werden kann. Insofern wurde niemand vor vollendete Tatsachen gestellt, auch nicht die kommunalen Akteure.

Über die meisten von Ihnen vorgebrachten Sachverhalte/Fragen wurde auf der Basis entsprechender Vorlagen der Verwaltung bereits diskutiert. Wir können uns des Eindrucks nicht verwehren, dass Sie/die CDU notwendige Veränder­ungsprozesse ausblendet und in populistischer Verkürzung sehr unterschied­liche Themen miteinander kurzschließt: So hat die vorgeschlagene Reduktion des Forums Konkrete Kunst auf Sonderausstellungen objektive und breit aus­geführte Gründe, die nachrangig mit Haushaltssicherung zu tun haben. Es geht eben nicht um eine Abwicklung, sondern den Verzicht auf eine Dauerausstellung.

Das Folklorefestival Danetzare wurde zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt, vielmehr haben sowohl der Freistaat als auch die Stadt als Hauptförderer die Ausrichtung des Festivals und das hohe Maß an öffentlichen Förderungen thematisiert und eine Überprüfung veranlasst.

Wie alle anderen Bereiche der Verwaltung, muss auch der Kulturbereich auf die existierende Haushaltskrise reagieren. Doch jeder Vorstoß, egal in welche Richtung, wird sofort als Sakrileg aufgefasst und ohne konstruktive Alternativen skandalisiert. Die Verleihung der sogenannten Kulturtüte war in dieser Hinsicht auch reiner Populismus: Vom Erhalt des Dreibrunnenbades bis zur Sondernutzungsgebühr des Theaters Erfurt wurde das Bild eines umfassenden Niedergangs konstruiert. Die unterschiedlichen Kontexte und Ursachen wurden ausgeblendet. Allerdings wurde der Preis von einem Satire-Magazin verliehen und es ist Aufgabe von Satire, zu überzeich­nen. Aufgabe von Politik hingegen ist es zu handeln. Der Verwaltung Kulturfeindlichkeit oder gar die Strategie einer Abwicklung zu unterstellen, lenkt von der politischen Verantwortung der Entscheidungsträger innerhalb der CDU ab.

Entgegen dem von Ihnen gezeichneten Szenario, hat es in den letzten Jahren sogar viele Auf­brüche und Neuerungen im Kulturbereich gegeben: Das jüdische Erbe z. B. wurde aufgearbeitet und wird – auch aus städtischen Haushaltsmitteln – umfassend gepflegt und vermittelt. Der Erinnerungsort Topf & Söhne wurde neu gegründet und betreibt Projektarbeit. Viele freie Kulturträger werden (wenn auch nicht-monetär umfassend) unterstützt, beraten und begleitet; auf diesem Gebiet sind neue Akteure entstanden und prägen das kulturelle Leben unserer Stadt.

Richtig ist, dass die Mittel für Projektförderung rückläufig sind. Allerdings sind uns in Zeiten vorläufiger Haushaltsführung kommunalrechtlich die Hände gebunden. Dennoch haben wir im Jahr 2016 trotzdem Haushaltsmittel frei gemacht – um ein Zeichen zu setzen. Gegenwärtig be­mühen wir uns, den Petersberg neu zu beleben und dabei auch die Kultur mitzunehmen. Es gibt also kein bloßes Zurück, sondern auch einen Aufbruch zu neuen Strukturen und Angeboten. Kulturentwicklung ist keine Einbahnstraße des Erhaltens (mit der Unterstellung, alles sei gut), sondern ein Prozess des Weiterdenkens, und manchmal auch des Verwerfens.

Das Krönbacken-Projekt und andere Strukturvorschläge haben damit zu tun, dass in den Nach­wendejahren und bis in die 2000er Jahre über Publikumslenkung, effektive Museumsstrukturen und die Vermarktung der Kulturangebote nicht hinreichend nachgedacht worden ist. Hier haben sowohl die Kulturverwaltung, als auch der Kulturausschuss und der Stadtrat verpasst, Schwer­punkte zu setzen. Die Erwartungen des Publikums und der Touristen haben sich stark verändert. Ein einfaches „Weiter so“ rettet uns nicht, Kulturpolitik heißt auch konzeptionelle Veränderung, nicht nur Bewahren um jeden Preis; das Setzen von Schwerpunkten und Konzentration sind nötig. Hierfür bringen etliche Menschen offenbar wenig Verständnis auf, weil sie bestimmte Einrichtungen oder Projekte nur isoliert betrachten oder mit diesen persönlich eng verbunden sind. Mehr Objektivität tut not.

Außerdem sei noch der Hinweis gestattet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ver­waltung keinen „Maulkorb“ erhalten haben; sondern es gibt schlichtweg eine Verantwortungs­hierarchie. In den Ämtern und nachgeordneten Einrichtungen werden die Problemfelder disku­tiert, aus allen Bereichen hat es Stellungnahmen zum HSK gegeben. Nicht jede/r Mitarbeiter/in kann jedoch in politischen Gremien „vorgeführt“ und zu seiner persönlichen Meinungen befragt werden. Es gibt eine Haltung der Verwaltung und diese wird in den Stellungnahmen deutlich. Das wäre auch in einem von der CDU regierten Stadtrat und in einem von der CDU geführten Rathaus nicht anders.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich einige Stadtratsmitglieder nicht der ihnen über­tragenen Verantwortung bewusst sind. Die Verwaltung ist verpflichtet, dem Stadtrat Vorschläge unterbreiten, entscheiden aber müssen die Stadträte letztlich selbst. Finanzielle Kürzungen hat nicht die Verwaltung vorgenommen, sondern der Stadtrat setzt mit seinen Entscheidungen zu den jeweiligen Haushaltsjahren die Rahmenbedingungen. Weitere Rahmenbedingungen erge­ben sich aus rechtlichen Normierungen, die nicht selten unangenehme Konsequenzen zeitigen (etwa für Arbeits- und Versammlungsstätten oder im Bereich des Wettbewerbsrechts). Hier immer auf ein Versagen der Verwaltung abzustellen, ist bequem und letztlich anmaßend, da Verwaltung auch nicht Stadtratsbeschlüsse kommentiert und sich Entscheidungen anmaßt, die ihr nicht zustehen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

insofern freuen wir uns zu lesen, dass Sie sich der Ernsthaftigkeit der Lage bewusst sind – das scheint leider nicht bei jedem Stadtratsmitglied der Fall zu sein. Wir begrüßen Ihre Bereitschaft zum Dialog und sind gespannt auf Ihre Vorschläge. Denn wie Sie richtig feststellen, ist ein viel­fältiges kulturelles Angebot ein entscheidender Baustein für die Attraktivität unserer Stadt. Aber wenn wir bestehende Strukturen erhalten wollen, werden wir um eine Schwerpunktsetzung – die gesicherte Förderung einerseits und eine kontrollierte Umstrukturierung bzw. Aufgabe einiger Bereiche und Häuser andererseits – nicht umhinkommen.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Bausewein
Oberbürgermeister

Tamara Thierbach   
Bürgermeisterin und Beigeordnete für Soziales, Bildung und Kultur

Dr. Tobias J. Knoblich
Kulturdirektor