Ausstellung "japanische visuelle Poesie II"

06.07.2009 00:00

Eugen Gomringer über die Ausstellung: "Die Sammlung japanischer visueller Poesie von Josef Linschinger gibt einen Einblick in den Reichtum dieser poetischen Gattung. Es sind so gut wie alle in den jüngsten Jahrzehnten unternommenen Experimente mit  Alphabeten und den verschiedenen Codes der Medienwelt vertreten."

Bereits im Jahr 2002 zeigte das Forum Konkrete Kunst in einer Ausstellung im Haus Dacheröden eine Sammlung visueller japanischer Poesie, die durch Vermittlung von Josef Linschinger aus Österreich zustande kam. Er selbst ist seit Jahren mit visueller Poesie befasst und kam in engen Arbeitskontakt zu japanischen Kollegen. Das erste Mal besuchte er das fernöstliche Land anlässlich einer Ausstellung, die unter dem Titel "Texte Sehen – deutsche und japanische visuelle Poesie" 1999 in Kitakami, im Museum für Japanese Contamporary Poetry eröffnet wurde. Den Kontakt zu den dort kennengelernten Kollegen konnte er während eines mehrmonatigen Studienaufenthaltes in Japan im Jahr 2001 vertiefen. Es entstand durch Geschenke, Tausch und Erwerb von Grafiken eine umfangreiche und repräsentative Sammlung von zeitgenössischen Arbeiten, die Josef Linschinger zusammen mit einer hochqualitativen theoretischen Aufarbeitung in einem Katalog zum Grundstock einer Ausstellung machte, die bereits viele Stationen durchlaufen hat.
Ergänzt wird diese Schau durch eine weitere Mappe, die als Hommage an den namhaften Künstler Katue Kitasono (Kit Kat) von Künstlern aus Japan und Europa entstanden ist, sowie Arbeiten von Linschinger in Auseinandersetzung mit japanischer und europäischer Wahrnehmung und Erfahrung.
Am Sonntag, den 12. Juli 2009, 11 Uhr, wird diese Ausstellung in der Peterskirche auf dem Petersberg unter Anwesenheit von Linschinger eröffnet. Gezeigt wird die Sammlung mit 35 zeitgenössischen japanischen Künstlern , die Mappe Kit Kat sowie Linschingers Mappe "Laughter in Shinoba".   Zur Ausstellung wird Prof. Dr. Dr. Siegfried J. Schmidt aus Münster sprechen, selbst Vertreter der Visuellen Poesie und profunder Theoretiker, im Katalog mit einem Text vertreten. Die Präsentation läuft bis zum 13. September und ist Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr   im südlichen Querschiff in der ständigen Sammlung zu sehen.
Visuelle Poesie ist eine intermediale Kunst zwischen Literatur und Bildender Kunst, und ist damit in gewissem Umfang auf Spracherkennung und -verständnis angewiesen. Ist aber dem Publikum sowohl die Sprache, das Schriftsystem als auch der kulturelle Hintergrund fremd, erscheint eine Ausstellung unter diesem Thema als besonders schwierige Herausforderung.

Dennoch hat die japanische Kultur allgemein, und haben die kalligraphischen Arbeiten seit langem beim europäischen Publikum eine große Anziehungskraft. Und japanische Poeten haben seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts sogar ein nachdrückliches Bestreben, sowohl mit Kollegen in Südamerika als auch Europa in Kontakt zu treten, Elemente aufzunehmen, eigenes für die andere Kultur verständlich zu machen. Makiko Mazume, eine Theoretikerin, die lange in Wien lebte, schreibt dazu: in den Werken der Ausstellung "ist bezüglich der Schriftverwendung deutlich zu erkennen, dass es zweierlei Versuche gibt, im fremdkulturellen Kontext die geschlossene japanische Sprache zu öffnen,   beziehungsweise Zugangspunkte zu zeigen." Und der namhafte Künstler Mukai   äußert sich sogar dahingehend, dass man den Ausstellungen im Ausland zu verdanken habe, die eigene japanische visuelle Poesie neu betrachten und sich selbst wieder erkennen   zu können.

So könnte man die interkulturelle Zusammenarbeit als Impulse für eine fruchtbare Weiterentwicklung der jeweiligen Kunst sehen. Das verbindende Element zwischen der östlichen und westlichen Ausprägung der visuellen Poesie ist der Konkretismus, ähnlich den Ideen in der Konkreten Kunst, also der Bild-Anteil der visuellen Poesie.   Aber trotz aller Bemühungen der Annäherung und Öffnung beider Seiten bleibt die Differenz in Sprache und Kultur. Japaner haben nicht ein anderes Alphabet, sondern eine höchst komplizierte Mischung aus Schriftzeichen, von denen im Besonderen die Kanji einen für Europäer nicht nachvollziehbaren Charakter haben.

Siegfried J. Schmidt schreibt: "Während das westliche Alphabet als eine Technologie bezeichnet werden kann, empfinden Japaner Kanji als Denk- und Gebärdenbilder bzw. als Sprachszenen. Die Integration von optischen, haptischen, motorischen und semantischen Komponenten im Kanji hat in den westlichen Alphabetschriften keine Entsprechung."

Und eben diese uns fremde kulturelle Prägung macht andererseits auch den Japanern das restlose Verständnis unserer medialen Sprachen schwer zugänglich. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach Verständnis und "die Einsicht, dass unsere jeweilige Kultur nur eine Möglichkeit unter vielen ist. Und diese Einsicht mit Mitteln der Kunst kreativ sichtbar zu machen, ist eine Leistung dieser Ausstellung, die wir sehr hoch veranschlagen sollten." (S. J. Schmidt)
Dass es dennoch möglich ist, in den Arbeiten des jeweils anderen Kulturkreises, emotionale Berührungen und philosophische Tiefen zu sehen, ist aus einem Aufsatz eines japanischen Kollegen zu Josef Linschingers Blatt "AEOU+I" zu ersehen, der die Arbeit als Meisterwerk bezeichnet. "Es reicht in die Tiefen der menschlichen Existenz: Liebe, Ewigkeit, Alter, Melancholie." Was auch immer Linschinger selber zum Ausdruck bringen wollte – seine Arbeit hat bei seinem Künstlerkollegen eine Saite berührt, hat Gültigkeit erlangt.

Wir können stets nur das sehen, was mit unserer Erfahrung einhergeht. Aber Kunst kann eine Aussagekraft entwickeln, die die kulturellen Hindernisse überspringt.

Die Organisatoren danken dem Kurator Josef Linschinger für Ausstellung und Katalog. Da die Ausstellung erst ab Freitagnachmittag aufgebaut wird, wird die Presse sehr herzlich zur Eröffnung am Sonntag, 11 Uhr, eingeladen.