Sonderausstellung "Persönlich!": Fotografie von Ulrich Kneise

02.12.2011 00:00

Ausstellung vom 4. Dezember 2011 bis 22. April 2012 im Museum für Thüringer Volkskunde Erfurt.

"Wie das Wasser an Ufern sich staut, so stauen sich auf den Fotos von Ulrich Kneise die Zeitläufte. Das Leben schaut uns an und setzt unsere Seele in Erstaunen. Eine Reise durch die Zeit, eine Zeitreise. Für die Länge eines Wimpernschlags -angehalten, damit wir sehen können.

Die Leute von Eisenach. Wobei Eisenach nur ein Ort ist, ein Name, ersetzbar durch jeden anderen.

Unser Leben ist Exil. Wir kommen, wir bleiben eine Weile und dann gehen wir wieder. Und es ist kein Unterschied, ob wir berühmt oder unbekannt sind, gesund oder krank, alt oder jung. Diese lange Reihe der vor uns Dagewesenen und die Reihen derer, die noch kommen werden.

Siehe an: Menschen. Der Mensch ist das Maß aller Dinge, und nicht die Dinge sind das Maß, wie so häufig zu vermuten steht.

Und für Ulrich Kneise allzumal. Er ist Eisenacher. 1961 dort geboren und zur Schule gegangen. Dort hat er das Leben eines DDR-Bürgers geführt mit all seinen Alltäglichkeiten und Widrigkeiten. Er verzichtet auf den Studienplatz Bildjournalist in Leipzig, versucht stattdessen eine eigene Galerie aufzubauen, was, wen wundert es, scheitert. Sehr jung noch, 1990, beginnt er als freier Fotograf zu arbeiten, gründet nun noch einmal seine Fotogalerie im Hause Bohl und beginnt zu publizieren.

Als ich diese eleganten perfekt gemachten Fotografien, die jetzt im Museum für Thüringer Volkskunde präsentiert werden, zum ersten Mal sah, war das wie ein Blitz auf der Netzhaut. Von verwirrender Eindringlichkeit, voller Melancholie und eindringlichem Charme.

Für Ulrich Kneise war und ist dieses Projekt eine Herzensangelegenheit. Seine Menschenbilder haben nichts Voyeuristisches, nichts Gekünsteltes. Nur einen großen Ernst. Manch schmales Lächeln, viel Skepsis in den Augen, uns fern und doch so nahe, wie man einander nur kommen kann.

Die Gesichter einer Stadt über einen langen Zeitraum – von 1980 bis 2011.

Eisenachern sind diese Gesichter vertraut. Man kennt sich in einer kleinen Stadt.

Aber man braucht dieses Wissen nicht. Diese Arbeiten stehen für sich und weisen weit über den Ort, an dem sie entstanden sind, hinaus. Die Porträtierten könnten uns überall begegnen. Jedes Detail an diesen Arbeiten ist bedacht und doch sind sie offen fürs Unbedachte, reizen unsere Fantasie. Diese Fotografien verführen, und sie werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben: Was ist Heimat? Wo bin ich zu Hause? Warum bleiben? Fragen, die wir uns alle schon gestellt haben und die jeder auf seine Weise beantworten wird.

Die Menschenbilder von Ulrich Kneise sind nicht privat trotz aller Privatheit, die sie umgibt. Sie stehen für die vielen anderen, von denen kein Abbild existiert- weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart.

Alle Abgebildeten haben in Eisenach gelebt oder leben noch hier. Sie nennen die Stadt ihre Heimat. Kneise leuchtet das Ergreifende und das Komische menschlicher Existenz aus. Wir stehen davor, und für einen Augenblick erleben wir die Vernunft des sich selbst erkennenden Menschen.

"Der Mensch ist nur der Entwurf von etwas", meint Gottfried Benn. Vielleicht kann man in den Porträts von Ulrich Kneise dieses "Etwas" entdecken, begreifen, was Endlichkeit ist und staunen über die Endlosigkeit. Gestaute Zeit, die irgendwann ohne uns weiter fließen wird. So ist das mit den Leuten von Eisenach."

Text: Margot Friedrich

Ulrich Kneise

Ulrich Kneise - 1961 in Eisenach geboren, besucht dort die Schule und unternimmt erste fotografische Versuche . Nach einem bildjournalistischen Volontariat in Berlin verzichtet er auf ein Studium und kehrt nach Eisenach zurück. Er arbeitet im Kunstgewerbegeschäft seiner Familie und saniert das Elternhaus. "Nebenberufliche" Arbeit als freier Fotograf für Zeitschriften, Verlage, Illustrierte und Museen. 1989 Aufnahme in den Verband Bildender Künstler der DDR. Seit 1990 freiberuflicher Fotograf für Presse, Verlage, Theater und Industrie.

Zahlreiche Buchveröffentlichungen und bundesweit gezeigte Ausstellungsprojekte. Berufung in die Deutsche Gesellschaft für Photographie und die Deutsche Fotografische Akademie.

Ulrich Kneise betreibt in seinem Elternhaus von 1990 bis 2010 die "Galerie Ulrich Kneise e. V." und zeigt währenddem 127 Autorenausstellungen von Rang.