Henry van de Velde liest Friedrich Nietzsche: Auf der Suche nach einer philosophischen Architektur

18.06.2013 12:41

Vortrag mit Ole W. Fischer, University of Utah in Salt Lake City, USA, am 25. Juni 2013, 18 Uhr, im Angermuseum. Der Eintritt ist frei.

Gibt es eine philosophische Architektur? Die Frage muss bejaht werden: Anhand von Henry van de Veldes Texten und Werken lässt sich exemplarisch der Bogen künstlerischer Rezeption nachzeichnen: von den ästhetischen Aussagen Nietzsches über die Theorie des Künstlers bis hin zur gestalterischen Übersetzung.

Henry van de Veldes architektonisches und gestalterisches Konzept des „Neuen Stils“ orientiert sich in bedeutsamer Weise an Friedrich Nietzsches „Neuen Menschen“. Beide lehnten vehement die bürgerlich-kapitalistische Kultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts ab. Dieser stellen sie sowohl eine moralische, als auch künstlerische Bankrotterklärung aus. Die Gemeinsamkeit der Ansätze von Nietzsche und van de Velde ist ein radikal-aristokratischer Glaube an die Transformationskraft der Gesellschaft durch heroische Einzelne. Sie greifen einer langsameren evolutionären Geschichtsentwicklung durch individuell vervollkommnende Werke vor. Dabei gehen beide Autoren von einem dialektischen, also gegensätzlichen, Verhältnis des Ursprünglichen und des Neuen aus. Der Bezugspunkt für das Neue ist eine als organische Einheit vorgestellte Gesellschaft, in welcher sich Form und Inhalt, Kunst und Lebensalltag, öffentliche und private Identität noch nicht getrennt hätten. Henry van de Velde folgte der historischen Vision Nietzsches: Hierbei ging es um die Überwindung der „defizitären“ Begleiterscheinungen der frühen Moderne und um die Wiedergeburt einer europäischen Hochkultur aus dem Geiste der Kunst.

Die Besonderheit bei Henry van de Velde liegt nun darin, dass über sein Werk nachweisbar ist, wie seine künstlerischen Absichten von Friedrich Nietzsche inspiriert wurden, da sich eine Reihe von Arbeiten Henry van de Veldes zu Friedrich Nietzsche erhalten haben: das Nietzsche Archiv in Weimar (1902–03), das Nietzsche Stadion (Projekt 1911–13) und die Prachtausgaben für den Insel-Verlag (1908; 1914).

Mit Hilfe der „transcription ornementale“ dachte van de Velde daran, seine abstrakten Entwürfe, Kräftediagramme und physiologischen Bauten durch philosophische Bedeutung aufzuladen: Er berief sich dabei auf das spätromantische Konzept des programmatischen Gesamtkunstwerkes, wie es in der Musiktheorie von Richard Wagner entwickelt wurde. Zuletzt bleibt zu diskutieren, in wieweit diese philosophischen Gedanken sich auch auf den Entwurf des Universalmuseums für Erfurt ausgewirkt haben.

Der Referent

Prof. Dr. Ole W. Fischer studierte Architektur an der Bauhaus Universität Weimar und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Zwischen 2002–08 unterrichtete er am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH. In seiner Doktorarbeit am gta analysierte er die programmatische Übertragung der Philosophie Friedrich Nietzsches auf Theorie und Werk Henry van de Veldes. Im Sommer 2004 und 2005 war er Stipendiat der Klassik Stiftung Weimar, im Frühjahr 2005 Gastdoktorand an der Harvard Graduate School of Design (GSD), und 2008–09 Stipendiat der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. Im Frühjahr 2009 kehrte er als post-doc Research Fellow an die Harvard GSD mit einem Projekt zur Geschichte der kritischen Theorie in der Architektur zurück. Im Herbst 2009 unterrichtete er als Gastprofessor an der RISD in Providence, im Frühjahr 2010 am MIT in Cambridge, USA. Parallel war er als Co-Generalkommissar und Co-Kurator des deutschen Beitrags auf der Biennale di Venezia 2010 ausgewählt. Seit Frühjahr 2011 lehrt und forscht er als Assistenzprofessor für Geschichte und Theorie an der School of Architecture der University of Utah in Salt Lake City, USA.

Dr. Fischer publiziert international zu zeitgenössischen Fragen der Geschichte, Theorie und Kritik von Architektur und Kunst. Er ist der Autor von Nietzsches Schatten (Berlin: Gebr. Mann, 2012) und schrieb einen Beitrag im Buch zur Ausstellung „Henry van de Velde. Ein Universalmuseum für Erfurt. www.owfischer.com

Förderer

Als Hauptförderer des Van-de-Velde-Jahres 2013 unterstützt die Sparkassen-Finanzgruppe 13 Ausstellungen und zahlreiche Veranstaltungen in Apolda, Bürgel, Erfurt, Gera, Jena und Weimar. Getragen wird das Engagement von der Sparkasse Mittelthüringen, der Sparkasse Jena-Saale-Holzland, der Sparkasse Gera-Greiz sowie der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. Die Sparkassen-Finanzgruppe wird damit auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ihrem Anspruch als größter nichtstaatlicher Kulturförderer gerecht.

Information zur Ausstellung

Buch zur Ausstellung: Miriam Krautwurst und Kai Uwe Schierz (Hrsg.): Henry van de Velde. Ein Universalmuseum für Erfurt, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-86678-829-9, Sonderpreis während der Ausstellung € 28,–.

Dank an die Hauptförderer des Van-de-Velde-Jahres 2013 in Thüringen:

Sparkassen-Finanzgruppe
Freistaat Thüringen
Ernst von Siemens Kunststiftung