„Barfuß ins Himmelreich? Martin Luther und die Bettelorden in Erfurt“

16.05.2017 16:58

Eine Ausstellung vom 18. Mai bis 12. November 2017 im Stadtmuseum, Angermuseum und in den Bettelordenskirchen in Erfurt.

Foto: „Barfuß ins Himmelreich? Martin Luther und die Bettelorden in Erfurt“ Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Die Bettelorden der Barfüßer, Dominikaner und Augustiner-Eremiten prägen mit ihren erhaltenen großartigen Kirchenbauten noch heute das Erfurter Stadtbild. Ihre neuartige und auf die Bedürfnisse der spätmittelalterlichen Stadtgemeinden ausgerichtete Theologie und Spiritualität haben ein ganzes Zeitalter bestimmt und tiefe Spuren auch in der Erfurter Kirchen-, Geistes- und Sozialgeschichte hinterlassen. Ausgehend von Luthers Klostererfahrung, die sein Leben und seine Theologie prägen sollten, wird in der Ausstellung übergreifend die Geschichte sowie die herausragende kulturelle, religiöse und wissenschaftliche Bedeutung der Bettelorden thematisiert.

Im Jahr 1505 trat der Student Martin Luther in das Erfurter Kloster der Augustiner-Eremiten ein. Ohne die Erfahrungen seiner Erfurter Jahre als Augustiner-Eremit wäre Martin Luthers Weg zur Reformation nicht möglich gewesen. Luthers innere Entwicklung, die ihn von der besonders strengen Erfüllung der Gelübde über die Erfahrung des vergeblichen Ringens um einen gnädigen Gott bis zur Ablehnung des mönchischen Lebenskonzeptes und dem leidenschaftlichen Einsatz für eine von allem religiösen Leistungsdenken befreite Glaubensgemeinschaft führte, lässt sich an keinem anderen Ort so überzeugend darstellen und erleben wie an den authentischen Wirkungsstätten Erfurts.

Zeitlich schlägt die Ausstellung den Bogen von der Ansiedelung der Orden im frühen 13. Jahrhundert bis zur Auflösung der Klöster im 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation. Zugleich geht es um die von Luthers Klosteraufenthalt angestoßenen Entwicklungen wie die Auflösung der Bettelorden in Erfurt und die Transformation von Klöstern in Pfarrkirchen und Schulen. Dass ehemals in einem Konvent lebende Mönche dabei zu Gegnern im Reformationsstreit sowie teils zu Erfurter Mitbürger und Familienvätern wurden, ist ein wichtiger Seitenstrang der Ausstellung.

Die vom Atelier Szenographie Valentine Koppenhöfer (Weimar) gestaltete Präsentation kombiniert zum großen Teil erstmals gezeigte hochkarätige Objekte aus Erfurter Museen, Bibliotheken und Archiven mit bedeutenden Leihgaben u. a. aus Köln, Nürnberg, Leipzig, Kärnten und Berlin. Der Reigen der Exponate reicht dabei von kostbaren Büchern, Flugschriften, Urkunden und Universitätsmatrikeln über liturgisches Gerät, Schnitzplastik und Altarbilder bis zu Alltagsgegenständen und archäologischen Fundstücken aus Thüringer Bettelordensklöstern. Zudem werden „Lutherpunkte“ und Frageplakate in provokanter Weise die jeweilige Lebenssituation des späteren Reformators in unserer modernen Wahrnehmung spiegeln und das innere Drama der von Mönchen wieder zu Männern und Mitbürgern gewordenen Protagonisten für heute zur Diskussion stellen.

Eine Folge von sechs Themenbereichen stellt die Wandlungen des Mönchsideals vom Hochmittelalter bis zur Klosterzeit Luthers und die Bedeutung der Bettelorden für die Stadtgesellschaft, Ökonomie und universitäre Bildung Erfurts dar.

Die Ausstellungsräume

1. Die Bettelorden im Stadtraum

2. Die Bettelorden und das Seelenheil der Stadt

3. Von Benedikt zu Franziskus: Altes und Neues Mönchtum

4. Das Kloster: Ein Raum inmitten und außerhalb der Welt

5. Von der Ablasskritik zur Auflösung der Bettelorden

6. Vom Kloster zur Schule und Pfarrkirche: Die Reformation und ihre Folgen

Die Ausstellung verknüpft das persönliche Lebensschicksal des Studenten, Gottsuchers, Bettelmönchs, Kontroverspredigers und Ehemannes Luther mit einem Panorama der Beziehungen der Bettelorden zur Erfurter Stadtgesellschaft. Sie bemüht sich konsequent um ein Verständnis der reformatorischen Voraussetzungen und Ereignisse von der Daseinsrealität und inneren Motivation der Beteiligten her und lädt durch ihre Raumfolge dazu ein, innerhalb des Museums einen realen Entwicklungsweg zurückzulegen. Zugleich sucht das Projekt nach Anknüpfungspunkten an unsere heutige Lebenswelt und die Fragen unserer Zeit nach Sinn, Radikalität und Nachhaltigkeit. Durch die Zusammenstellung und Kontrastierung der Exponate erreicht sie das, was Ausstellungen im besten Falle erzeugen können: sie setzt die Bildwelten im Kopf der Besucher in Bewegung und regt zum Nachdenken an. Die Ausstellungsarchitektur setzt dabei entlang der Grundelemente Gitter und Netz auf eine zugleich einladende wie latent verstörende Szenografie.

Ein flexibles Begleitprogramm, das aktuelle Fragestellungen rund um Armut, Gerechtigkeit und Lebenssinn aufwirft, vertieft die Exposition. Zudem wird ab Juni im Langhaus der Barfüßerkirche eine begehbare Inszenierung („Jenseitsspiel“) zu erleben sein. Das Jenseitsmodell der Bettelorden und das daran geknüpfte spätmittelalterliche Konzept der Heiligung durch Leistung und stellvertretende Gaben soll in Form eines Spiels einer kritischen Aktualisierung unterzogen werden. Dafür wurde in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt eine innovative App-Anwendung entwickelt.

Zur Ausstellung erscheint ein von zahlreichen Wissenschaftlern, Historikern, Kunsthistorikern und Archäologen, erarbeiteter und umfangreich bebilderter Begleitband. Adressiert an ein breites Publikum, das Interessierte und Fachleute gleichermaßen einschließt, fasst er den aktuellen Forschungsstand zusammen und gibt darüber hinaus Einblicke in bislang unbekannte, Luthers Erfurter Wirkungsstätten übergreifend beleuchtende historische Zusammenhänge.

Das von Bund und Land sowie der Sparkasse Mittelthüringen geförderte Ausstellungsprojekt umfasst die Prediger- und Barfüßerkirche, die Mittelaltersammlung des Angermuseums sowie die Dauerausstellung samt Kirche und Kreuzgang des Augustinerklosters. Sämtliche Ausstellungsstationen können mit einem Kombiticket besucht werden.

Die Ausstellung wurde gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grund eines Beschluss des Deutschen Bundestages.