Wie barrierefrei ist Erfurt?

03.12.2020 15:23

„Es ist ein guter und wichtiger Tag“, sagt Oberbürgermeister Andreas Bausewein über den 3. Dezember. Es ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen, erstmals ausgerufen von den Vereinten Nationen im Jahr 1993. Der Aktions- und Gedenktag soll das Bewusstsein für die Belange, Herausforderungen und Probleme von Menschen mit Behinderungen stärken. Der passende Anlass also, um auch für Erfurt eine aktuelle Bilanz zu ziehen.

Eine Einschätzung zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen

ein Bahnsteig mit einer einfahrenden Straßenbahn und mehreren Menschen am Gleis
Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Für das Gespräch wählten Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein, Evag-Geschäftsführerin Myriam Berg und Carola Hettstedt, Erfurts Beauftragte für Menschen mit Behinderungen, die fertiggestellten Stadtbahnhaltestellen am Anger. Sie begrüßten dazu Vertreterinnen und Vertreter des Kommunalen Beirates für Menschen mit Behinderungen.

Mit dem Abschluss der Baumaßnahme am Angerkreuz sind in Erfurt nahezu alle Stadtbahnhaltestellen, nämlich 182 von 186, barrierefrei erschlossen. Das heißt, sie berücksichtigen die Belange von Menschen, die in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkt sind – so gibt es das Personenbeförderungsgesetz vor. Mit der bereits geplanten barrierefreien Anpassung der Haltestellen in der Nordhäuser Straße kann die Evag in diesem Bereich des ÖPNV 100 Prozent Barrierefreiheit gewährleisten.

Anders stellt sich die Situation bei den Stadt- und Regionalbushaltestellen dar, für deren Ausbau die Stadt verantwortlich ist. Hier sind aktuell knapp 60 Prozent barrierefrei – eine Zahl, die in den kommenden Jahren erhöht werden soll.

„Barrierefrei heißt im ÖPNV nicht nur, dass Menschen mit dem Rollstuhl unsere niederflurigen Busse und Bahnen nutzen können“, so Myriam Berg. „Barrierefreiheit beinhaltet zum Beispiel auch Bodenindikatoren, akustische Außeninformationen und die Inhalte unserer Website.“

„Wenn wir von Maßnahmen reden, die die Barrierefreiheit verbessern, sprechen wir über eine ganz große Bandbreite“, pflichtet Erfurts Behindertenbeauftragte Carola Hettstedt bei. „Barrierefreiheit bedeutet nicht nur eine Rampe oder eine abgesenkte Haltestellenkante. Auch Menschen mit Rollatoren oder Kinderwagen müssen Verwaltungsgebäude problemlos betreten können. Und wir müssen den barrierefreien Zugang zu Informationen sicherstellen. Das bedeutet, dass kognitiv eingeschränkte Menschen oder aber auch Migranten, die die deutsche Sprache noch nicht gut beherrschen, barrierefrei an gut verständliche Informationen kommen.“ Die Stadtverwaltung Erfurt hat daher – und weil eine EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit es vorschreibt – ihre Website einer Prüfung zur Barrierefreiheit unterzogen und bietet erste Informationen in leichter Sprache an.

Herausforderungen liegen im Bestand

„Dort, wo neu gebaut wird, werden selbstverständlich die Anforderungen an die Barrierefreiheit berücksichtigt und umgesetzt“, betont Bausewein. „Die Herausforderungen liegen im Bestand. Barrierefreiheit hat selbst in den letzten Jahrzehnten noch keine Rolle gespielt.“ Auch hier ist Carola Hettstedt Ansprechpartnerin. Sie vermittelt zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Verwaltung. „Vor Kurzem hat eine Bewohnerin der Seniorenresidenz in der Maximilian-Welsch-Straße bemängelt, dass die Ampeln am Theaterplatz über keine akustischen Signale für Sehgeschädigte verfügen“, berichtet Hettstedt. Anschließend habe es mit einem Mitarbeiter des Verkehrsamtes und der Bürgerin einen Termin gegeben. „Ob und wann in solchen Fällen nachgerüstet wird, ist immer davon abhängig, ob es technisch möglich ist und die finanziellen und personellen Kapazitäten zur Verfügung stehen.“

Die Arbeitsgemeinschaft barrierefreies Erfurt ist ein wichtiger Partner und Impulsgeber für die Umsetzung der Barrierefreiheit in der Landeshauptstadt – treffen sich doch hier die Betroffenen und Vertreter aus Behindertenverbänden, bringen ihre Erfahrungen und Bedürfnisse aktiv ein und diskutieren mit den Verantwortlichen Lösungen.

Etwa 22.000 Menschen mit Behinderungen leben in der Thüringer Landeshauptstadt. „Die Umwelt barrierefrei zugänglich zu machen und den Zugang zu Orten, Dienstleistungen, Informationen und der alltäglichen Infrastruktur ohne fremde Hilfe zu gewährleisten, ist also für etwa zehn Prozent der Bevölkerung zwingend erforderlich und für 30 bis 40 Prozent notwendig“, so Hettstedt. „Komfortabel sind diese Maßnahmen jedoch für 100 Prozent, so nutzen sie am Ende allen Bürgerinnen und Bürgern.“

Kommunale Beauftragte für Menschen mit Behinderungen