Perspektiven und Höhepunkte – Rückblick und Ausblick auf den kommunalen Kulturbereich

19.01.2022 13:13

Zum Jahresauftakt lud die Erfurter Kulturdirektion zusammen mit dem Dezernenten für Kultur und Stadtentwicklung, Dr. Tobias J. Knoblich, in die Kunsthalle Erfurt. Auch wenn das vergangene Jahr aufgrund der Corona-Pandemie erneut von kulturellem Verzicht geprägt war, konnte die Kulturdirektion in ihrer Rückschau auf zahlreiche positive Momente und Entwicklungen blicken. Das neue Jahr verspricht ebenfalls einige Höhepunkte.

Rückschau und Herausforderungen

Vier Männer und zwei Frauen sitzen auf einem Podium
Foto: Dr. Tobias J. Knoblich, Beigeordneter für Kultur und Stadtentwicklung (im Bild mit Mikrofon) stellte gemeinsam mit Imke Beyers, amtierende Kulturdirektorin (2. von rechts) und den Museumsdirektorinnen und -direktoren die Pläne für das neue Jahr vor. Foto: © Stadtverwaltung Erfurt/Dirk Urban

Perspektiven

Im Jahr 2021 wurden wichtige Prozesse angestoßen, die 2022 weitergehen bzw. zu einem Ergebnis kommen. Mit der Entwicklung eines Perspektivenpapiers für die Erfurter Museumslandschaft durch die Beratungsgesellschaft actori GmbH konnte eine wichtige Grundlage für die weitere, nachhaltige Entwicklung der Erfurter Museen vorgelegt werden. Dieses wird 2022 weiter ausgewertet und in der ersten Jahreshälfte in ein Umsetzungskonzept münden.

Neue Perspektiven sollen auch für das Theater Erfurt gewonnen werden. Ein umfassender Transformationsprozess wird derzeit im Dezernat Kultur und Stadtentwicklung vorbereitet und vorangetrieben. Ziel ist es, für die Verhandlungen mit dem Land über die Neufassung der Finanzierungsvereinbarung ab 2025 Grundlagen der künstlerischen und organisatorischen Weiterentwicklung vorlegen zu können.

Mit der Abgabe des Erfurter Unesco-Welterbeantrags für das jüdisch-mittelalterliche Erbe wurde nach elf Jahren Entstehungsprozess ein wichtiger Meilenstein erreicht. Die Entscheidung der Unesco-Kommission erwartet die Stadt Erfurt im Sommer 2022. Die Arbeit an der optimalen Präsentation dieses besonderen Erbes sowie seiner weiteren Erforschung setzt die Stadt Erfurt fort.

Highlights 2021

Gemeinsam mit der Sparkasse Mittelthüringen konnte mit dem „#erfurtkultursommer“ in der ersten Jahreshälfte zudem kurzfristig ein kommunales Hilfspaket zur Kompensation der coronabedingten Ausfälle für die Erfurter Kulturszene auf die Beine gestellt werden, welches nach der langen „kulturarmen“ Zeit wieder Leben in die Stadt brachte. Über 200 Veranstaltungen wurden von 38 unterstützten Kulturprojekten zwischen Juni und Oktober mit insgesamt 350.000 Euro realisiert. Das vergangene Jahr war in Erfurt jedoch nicht nur von der Corona-Pandemie geprägt, sondern auch von der Bundesgartenschau, die in den städtischen Museen durch zahlreiche Ausstellungen begleitet wurde. Insgesamt neun verschiedene thematische Ausstellungen präsentierten die Museen, wobei insbesondere künstlerische Auseinandersetzungen wie etwa im Rahmen der „Blühstreifen“-Ausstellung in der Kunsthalle hervorstachen.

Kultur digital

Verstärkt durch die andauernde Corona-Pandemie, wurde das Thema Digitalisierung auch in der Kulturdirektion vorangetrieben. Beispielsweise ermöglichte die Filmreihe „Ein.Blicke – in die Erfurter Museen“ und diverse andere Formate in den sozialen Medien auch während des Lockdowns und darüber hinaus die Sichtbarkeit der Aktivitäten der Kulturdirektion. Verschiedene Veranstaltungsformate im vergangenen Jahr fanden in digitaler oder hybrider Form statt, wie beispielsweise die öffentliche Präsentation zur Museumsentwicklung oder „Arain! Der Synagogenabend“, der auf diese Weise sogar internationales Publikum erreichte. Auch zukünftig sollen verstärkt hybride Veranstaltungen umgesetzt werden. Aber auch verschiedene Ausstellungen wurden digital erlebbar gemacht. Der Erinnerungsort Topf & Söhne präsentierte sich zu seinem zehnjährigen Jubiläum im Jahr 2021 mit Streamings, Video-Botschaften und einer wöchentlichen Statementreihe bei Instagram und Facebook ebenfalls verstärkt im digitalen Raum.

Im Themenjahr „900 Jahre Jüdisches Leben in Thüringen“ konnte durch Förderung des Landes Thüringen mittels einer virtuellen Rekonstruktion die 1938 zerstörte Große Synagoge Erfurt wieder erlebbar gemacht werden. Unter Leitung der Geschichtsmuseen der Stadt wurde gemeinsam mit der Fachhochschule Erfurt, den Universitäten Erfurt und Jena und in enger Zusammenarbeit mit der jüdischen Landesgemeinde dieses interdisziplinäre Projekt umgesetzt. Mit den Daten des digitalen Modells wird in diesem Jahr nun ein gedrucktes Tastmodell mit Textinformationen vor der Neuen Synagoge, und damit am historischen Ort der Großen Synagoge, errichtet. Die Einweihung soll voraussichtlich zum 70. Jahrestag der Einweihung der Neuen Synagoge am 31. August 2022 stattfinden.

Personalsituation

In der Kulturdirektion konnten erfreulicherweise verschiedene Personalstellen besetzt werden. Zu den neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehören unter anderem der Direktor Geschichtsmuseen, die Sachgebietsleiterin Soziokultur/Kulturelle Bildung, die Kulturlotsin, aber auch neu in diesem Jahr eingestellte Mitarbeiter im Bereich Veranstaltungen der Abteilung Kulturmanagement. Durch diese und weitere Neueinstellungen konnte die Personalsituation spürbar verbessert werden.

Ausblick auf das Jahr 2022

Der Schriftzug Faszinatur und eine Zahl einhundert, deren Nulle aus Eulenaugen bestehen
Foto: Motiv zur Ausstellung „Faszinatur – 100 Jahre Naturkundemuseum“ Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

100 Jahre Naturkundemuseum Erfurt

Einen besonderen Höhepunkt stellt in diesem Jahr das 100-jährige Jubiläum des Erfurter Naturkundemuseums unter dem Motto „Faszinatur 100“ dar. Zu diesem Anlass veranstaltet das Naturkundemuseum eine umfangreiche Präsentation in der Kunsthalle am Fischmarkt. Dabei dürfen sich die Besucher auf viele Schätze aus den Museumssammlungen freuen, die sonst im Verborgenen ruhen. Die Sammlungsbereiche Geologie, Malakologie, Entomologie, Herpetologie, Ornithologie und Mammologie werden mit ihren umfangreichen Archiven vorgestellt und die verschiedenen Arbeitsmethoden sowie Forschungsansätze erläutert. Die Bereiche der Präparation und der Museumspädagogik werden anschaulich präsentiert sowie bedeutende historische Sammler und die langjährige Forschungsarbeit im Himalaya thematisiert. Die Ausstellung ist vom 10.06. bis 23.10. in der Kunsthalle zu sehen. Begleitet wird das Jubiläumsjahr zudem mit einer Ausstellung zu „Geschichte und Geschichten – 100 Jahre Naturkundemuseum Erfurt“, die vom 01.07. bis 13.11. im Naturkundemuseum selbst zu sehen ist. In dieser Schau werden zahlreiche Schätze aus den Sammlungen des Naturkundemuseums gezeigt, die sowohl spannende als auch kuriose Geschichten erzählen. Mit der Sonderausstellung möchte das Museum Höhepunkte und Meilensteine einer ereignisreichen Zeit von 100 Jahren anekdotisch zusammenfassen und anhand ausgewählter Exponate und historischer Präparate vermitteln. Das Museum startet sein Jubiläumsjahr mit der Ausstellung „Tierporträts – Zeichnungen von Helene Rimbach“, die vom 11.02. bis 24.04. zu sehen ist.

Tag der deutschen Einheit 2022

Einen weiteren Schwerpunkt für die Stadt Erfurt bilden in diesem Jahr die Feierlichkeiten um den Tag der Deutschen Einheit, der in Erfurt ausgerichtet wird. Die Kulturdirektion begleitet dies mit einer Sonderausstellung im Stadtmuseum Erfurt unter dem Titel „Modell Innenstadt. Planungen für die Mitte von Erfurt“, einer Wanderausstellung in der Galerie Waidspeicher, die die baulichen Veränderungen der Stadt im 20. Jahrhundert in den Blick nimmt, und mit weiteren künstlerischen Beiträgen, die später noch separat vorgestellt werden.

Kunst in Erfurt

Auch in den Kunstmuseen der Stadt sind abwechslungsreiche Ausstellungen zu erleben. Ein Highlight im Angermuseum stellt beispielsweise die Schau „Markus Mathias Krüger & Wolfgang Mattheuer – Unter blauen Himmeln“ dar, welche vom 31.07. bis 06.11. geplant ist. In der Ausstellung stehen die Werke des berühmten Lehrer der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig , Wolfgang Mattheuers (1927 – 2004) mit ihrer geometrisch vereinfachten Figuration und der intensiven Eigenfarbigkeit, denen des 50 Jahre jüngeren Markus Matthias Krüger (*1981) mit ihrer realistischen Präzision und Fantasie gegenüber. 

Als Highlight in der Kunsthalle wird ab Mitte November die Ausstellung „Family Affairs – Familie in der aktuellen Fotografie“ zu sehen sein. Kuratiert von Ingo Taubhorn präsentiert die Schau, welche zuvor im Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg zu sehen war, mehr als 20 internationale fotografische Positionen zum Thema Familie. Thematisiert werden die Verschiedenartigkeit familiärer Modelle, Lebensweisen, sowie neue Rollenbilder und Momente zwischen Überforderung, Chaos und Liebe. 

Vom 05.04.bis 12.06. feiert das international erfolgreiche Mode- und Kunstmagazin Le Mile sein zehnjähriges Bestehen in der Galerie Waidspeicher. Während „10 Years Le Mile – Mode und Kunst zwischen New York und Weimar“ wird nicht nur eine Kunstausstellung präsentiert, sondern die Galerieräume auch mit einer Fashion Show und einem Laufsteg-Event zeitgemäß und lebendig bespielt. Das Magazin aus Weimar präsentiert in Zusammenarbeit mit der Galerie Waidspeicher lokale als auch internationale Künstlerinnen und Künstler in einer Highlight-Werkschau.

Gegen das Vergessen

Am 9./10. Mai 1942 begann mit einer großen Deportation die Vernichtung des jüdischen Lebens in Thüringen. 80 Jahre danach wird ein partizipatives Gedenkprojekt in Kooperation mit der Gedenkstätte Buchenwald an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Thüringen erinnert. In einer Mitmach-Aktion „Schreiben gegen das Vergessen“ werden zum Auftakt am 9. Mai die Namen der deportierten 101 jüdischen Erfurterinnen und Erfurter mit Kreide auf dem Erfurter Bahnhofsvorplatz geschrieben.

Im Museum für Thüringer Volkskunde wird ab 10.06. unter dem Titel „decolonize your tattoo“ ein komplettes Tatauierset aus Samoa gezeigt. Dieses gehört zur Erfurter Südseesammlung und stellt eine wahre Seltenheit in Museumssammlungen dar. Wilhelm Knappe – hoher Kolonialbeamter – erwarb es vor Ort in den 1880er Jahren. Schon Jahrzehnte zuvor war die uralte Sitte des Tatauierens auf vielen Pazifikinseln zu Ende gegangen. Nur auf Samoa wurde sie weiter gepflegt, aller Bekämpfung durch Missionare zum Trotz.

Kunst und Kultur unterstützen

Die freie Kulturszene ist von der Corona-Pandemie spürbar getroffen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt im Antragsvolumen für die diesjährige Projektförderung wider. Für das Haushaltsjahr 2022 wurden insgesamt 129 Projektförderanträge eingereicht. Das Gesamtantragsvolumen beträgt fast eine Million Euro. Allein in der Breitenkultur und der Kunst wurden 77 Anträge mit einem Fördervolumen in Höhe von ca. 541.000 Euro eingereicht. Weitere 52 Anträge, mit einem Antragsvolumen in Höhe von ca. 427.000 Euro beziehen sich auf das diesjährige kulturelle Jahresthema „Kultur hallt nach“. Trotz der weiterhin bestehenden pandemiebedingten Unsicherheiten ist die Resonanz auf den Aufruf der Kulturdirektion überwältigend und macht den großen Bedarf sichtbar.

Der Bedarf in der freien Kulturszene bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf finanzielle Aspekte, sondern auch der Wunsch nach einem Ort für Veranstaltungen ist in den letzten Jahren immer wieder laut geworden. In diesem Jahr rückt die Stadt Erfurt dem Ziel der Schaffung einer freien Veranstaltungsfläche ein Stück näher. Nachdem im September 2021 eine Testparty auf einer potenziell geeigneten nutzbaren Freifläche erfolgte und ein entsprechendes Schallschutzgutachten erstellt und ausgewertet wurde, soll diese 2022 nun in eine Modellphase gehen. Derzeit werden in einer internen ämterübergreifenden Arbeitsgruppe die entsprechenden Regularien zur Nutzung der freien Fläche erarbeitet.

In diesem Jahr wird in guter Tradition wieder eine Stadtgoldschmiedin zu Besuch in Erfurt sein. Die mexikanische Schmuckkünstlerin Sarah Ordóñez wurde bereits Ende 2021 von der Jury ausgewählt und wird vom 02.05. bis 31.07. in den städtischen Künstlerwerkstätten arbeiten. Der Austausch mit Erfurt, seiner Stadtgesellschaft und anderen Kreativen soll in ihren Arbeitsprozess einfließen. Um daran teilzuhaben, wird die Öffentlichkeit regelmäßig über ihre Arbeit informiert. Am Ende des Aufenthaltes werden die entstandenen Stücke in einer Ausstellung im Angermuseum präsentiert.

„Gute alte Bekannte“

Weihnachtsmarkt, Krämerbrückenfest und Altstadtfrühling – dies ist nur eine kleine Auswahl an Veranstaltungen, die in den letzten beiden Jahren ausfallen mussten. Hoffnungsvoll und mit der Erfahrung der letzten beiden Jahre planen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kulturdirektion derzeit die Veranstaltungen für dieses Jahr, damit diese „guten alten Bekannten“ 2022 wieder erlebbar werden. Für den Weihnachtsmarkt (22.11.–22.12.) sind programmatische Neuerungen geplant, um das touristische Interesse nach der zweijährigen Pause wieder zu entfachen. Und auch das Krämerbrückenfest soll durch verschiedene Veränderungen wieder möglich gemacht werden.

Darüber hinaus stehen die Lange Nacht der Museen (13. Mai) und die Denkmaltage Erfurt (6. – 11. September) im Veranstaltungskalender. Letztere stehen unter dem Motto des bundesweiten Tags des offenen Denkmals, welches in diesem Jahr „KulturSpur. Ein Fall für den Denkmalschutz“ lautet.

Kultur in Erfurt findet auch über die direkte kommunale Zuständigkeit hinaus statt, etwa im Deutschen Gartenbaumuseum oder in der Gedenkstätte Andreasstraße.