Thüringer Städte fordern Landesregierung zum Handeln auf

09.12.2022 12:00

Die größten Städte in Thüringen sind an der Grenze ihrer Aufnahmekapazität für Asylsuchende und ukrainische Staatsbürger angekommen. Da Hilfegesuche an die Landesregierung bisher nicht den dringend notwendigen Erfolg hatten und sich die Kommunen seit Jahren von der Landesregierung im Stich gelassen fühlen, schließen sich die Städte Erfurt, Jena, Weimar, Gera, Eisenach und Suhl nun zusammen, um gemeinsam eine stärkere Unterstützung des Freistaates zu erzwingen.

Kommunen fordern konkrete finanzielle Zusagen für alle Geflüchtete

Foto: Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf (von links), Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb, Erfurts OB Andreas Bausewein, Jenas OB Thomas Nitzsche und Suhls OB André Knapp legten Ihre Positionen dar. Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Eines der Hauptprobleme: mangelnde Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Kaum freie Wohnungen auf dem Markt, Gemeinschaftsunterkünfte voll, Turnhallen belegt – die Kapazitäten vieler Städte sind erschöpft. Die Städte brauchen dringend vom Land verbindliche und schriftliche Finanzierungszusagen, um ausreichend menschenwürdigen Wohnraum zu akquirieren. Eine weitere Forderung: Die Landesregierung muss Städte und Gemeinden endlich ausreichend finanziell ausstatten, damit diese ihre Aufgaben auch im Sinne der Flüchtlinge erfüllen können. Dazu gehört auch, dass die seit Jahren nicht angepassten Flüchtlingspauschalen auf das Niveau vergleichbarer Bundesländer erhöht werden. Außerdem, da sind sich die Städte ebenfalls einig, muss das Land für gerechtere Verteilmechanismen sorgen und die Wiedereinführung der Domizilpflicht, die es bis 2009 in Thüringen gab, vorantreiben.

Erfurts OB Andreas Bausewein: „In diesem Zusammenhang kann ich es nicht verstehen, warum wir Flüchtende mit zweierlei Maß messen. Die Ungleichbehandlung von Flüchtlingen aus der Ukraine und Flüchtlingen anderer Herkunft müssen aufgehoben werden.“

Erfurt fordert verbindliche, schriftliche Zusagen

„Die Städte erfüllen seit Jahren zumeist klaglos ihre Verpflichtungen und es ist unbestritten eine Pflicht von uns allen, denen zu helfen, die vor Krieg und Zerstörung zu uns fliehen. Doch sind wir inzwischen an einen Punkt gekommen, an dem es für uns so nicht weitergeht. Die Kapazitäten der Landeshauptstadt sind erschöpft. Weitere Turnhallen wird die Stadt nicht zur Verfügung stellen. Das heißt für mich, jetzt liegt es am Freistaat den Städten die notwendigen Mittel an die Hand zu geben, um ihren Verpflichtungen weiter nachkommen zu können. Wir können und wollen uns nicht länger mit mündlichen Zusagen vertrösten lassen, sondern fordern verbindliche schriftliche Zusagen seitens der Landesregierung“, sagt Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein.

In der Landeshauptstadt gab es zum Ende des Jahres 2010 noch 436 registrierte Asylsuchende. In den Jahren 2015 bis 2017 bewegte sich die Zahl von 1.806 über 886 hin zu 1.036. Diese Zahl stieg ab 2021 wieder über die Marke von 1.200. Hinzu kommen seit dem 24. Februar dieses Jahres noch 3.041 (Stand 8. Dezember 2012) Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft.

Eisenach moniert die Kluft zwischen den Städten und dem ländlichen Raum

Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf sagt: „Es ist enorm wichtig, dass die finanzielle Unterstützung dorthin fließt, wo die Menschen leben. Die Realität sieht so aus, dass bei uns in Eisenach die Stadt den Großteil der Integrationsleistung aus eigener Kasse bezahlt oder auf ehrenamtliches Engagement angewiesen ist. Das ist kein Dauerzustand. Außerdem muss das Land dringend dafür sorgen, dass die Ankommenden im Freistaat besser verteilt werden. Die Kluft zwischen den Städten und dem ländlichen Raum ist noch zu groß.“

Aktuell leben mehr als 3000 Flüchtlinge im Wartburgkreis (WAK), darunter mehr als 1600 aus der Ukraine. Dazu kommen noch etwa 700 Asylbewerber (nicht Ukraine).

Das Bürgerbüro registriert aktuell 4933 Ausländer im Stadtgebiet Eisenach (Stand 15.11.2022). Darunter sind 560 Ukrainer und Ukrainerinnen, die bei der Stadt gemeldet sind. Zum Vergleich: Vor Ausbruch des Krieges waren es 38. Das heißt, etwa 530 Kriegsflüchtlinge sind seit März zugezogen. Das entspricht einem Drittel der gesamten ukrainischen Geflüchteten, die sich zurzeit im Wartburgkreis aufhalten.

Gera ist für Wiedereinführung der Domizilpflicht

„Die Landesregierung steht in der Verantwortung, dem Konnexitätsprinzip zu folgen, also diejenigen Aufgaben zu finanzieren, die sie an die unsere Städte und Gemeinden überträgt. Hier müssen konkrete Entlastungen über den 31.12.2022 hinaus definiert werden. Weiterhin findet in Thüringen nach wie vor eine Ungleichverteilung statt, auch das haben wir schon frühzeitig moniert – ebenfalls ohne nennenswerte Unterstützung des Landes. Die Wiedereinführung der Domizilpflicht wäre ein erster guter Schritt, dieser Überbelastung einzelner Kommunen entgegenzuwirken. Es muss verstanden werden, dass wir alle nur gemeinsam langfristig die Situation meistern werden, wenn die Landesregierung gemeinsam mit den Städten und Gemeinden an einem Strang zieht“, sagt Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb.

In Gera hat sich seit 2010 die Zahl der registrierten Asylsuchenden bis zum Stichtag 30. November 2022 massiv erhöht. Waren es 2010 noch 154 Asylsuchende, sind in diesem Jahr bislang 756 registriert. Hinzu kommen noch 1990 ukrainische Staatsbürger, die seit Februar in Gera eingetroffen sind.

Jena fordert unverzügliche Reaktion der Landesregierung

„Die Verfahrensweise des Freistaats Thüringen zur Finanzierung der Aufwendungen für ukrainische Kriegsflüchtlinge führt zu einer unverhältnismäßigen Belastung der kommunalen Haushalte, während andere Bundesländer – pflichtgemäß – auskömmliche Pauschalen bieten. Die Kreisfreien Städte in Thüringen halten die Rolle als Ausfallbürge des Freistaats nicht länger durch und erwarten ein unverzügliches Umsteuern der Landesregierung“, sagt Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche.

In Jena leben derzeit 580 ausländische Personen in Bestandsunterkünften und 90 in Containern. In seit Februar 2022 aufgebauten Unterkünften leben aktuell 516 Personen, davon 90 in Containern und 90 in einer Turnhalle. Hinzu kommen 395 Personen, die in 100 angemieteten Wohnungen leben. Hinzu kommen die Unterbringungen in privaten Wohnungen. Seit Februar 2022 gibt es 1.839 registrierte Personen aus der Ukraine in Jena: (Stand 30.11.2022), davon gemeldet sind derzeit 1.293 (Stand 2.12.2022). Insgesamt hat sich die Anzahl der Personen mit Fluchthintergrund in Jena in den vergangenen acht Jahren fast verzehnfacht.

Weimar lehnt Unterbringung in Sporthallen ab

„Der verfügbare Wohnraum in Weimar ist ausgeschöpft. Unsere Wohnungsgesellschaften, privat zur Verfügung gestellte Wohnungen und anderweitige Unterbringungsmöglichkeiten sind voll. Eine Massen-Unterbringung in Sporthallen werden wir als Stadt nicht in Betracht ziehen, vor allem im Sinne der Geflüchteten. Zumal eine solche Unterbringung auch nur von kurzer Dauer sein kann. Nach wenigen Tagen ergäbe sich die Frage nach einer angemessenen und dauerhaften Unterbringung aufs Neue. Was wir jetzt brauchen, ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Landesregierung, schriftliche Finanzierungszusagen und Zeit, um weitere Kapazitäten schaffen zu können, aber auch sichtbare Anstrengungen des Landes, deutlich mehr eigene Liegenschaften für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung zu stellen und zu betreiben“, sagt Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine.

Die Zahl der in Weimar registrierten Flüchtlinge ist im Vergleich zum Jahr 2011 in diesem Jahr auf mehr als das Vierfache angestiegen. Derzeit hat die Stadtverwaltung Kenntnis von 7286 Ausländern in Weimar, von denen sich 1846 in einem Asylverfahren befinden.

Suhl schultert auch die Landeserstaufnahmestelle

Suhls Oberbürgermeister André Knapp beklagt eine Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in seiner Stadt: „Das Ankunftsgeschehen in der Erstaufnahmeeinrichtung ist völlig diffus. Aufgrund der Überbelegung kommt es zu langen Wartezeiten für die Menschen und das Konfliktpotenzial steigt. Ich verstehe nicht, warum das Land hier nicht sein Personal aufstockt, um das bisherige Personal, das Übermenschliches leistet, zu entlasten.“

Der Ausländeranteil an der Suhler Bevölkerung ist im Jahr 2022 um 3,4 Prozent gestiegen und liegt mit Stand zum 30. September 2022 bei nun 12,6 Prozent und ist damit der höchste in ganz Thüringen. Zum Ende des Jahres 2021 waren es noch 9,2 Prozent. Die Zahlen schließen auch die Personen ein, die zum jeweiligen Stichtag in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes untergebracht waren. In der Stadt gibt es laut Oberbürgermeister noch leerstehenden Wohnraum. Diesen zu ertüchtigen benötige aber Zeit und vor allem finanziellen Zusagen das durch das Land.