Prof. Dr. Alexander Thumfart: Wie viele Worte sind angemessen?

01.05.2014 09:00

Wie viele Worte braucht der Mensch? Angemessen viele. Was heißt denn „angemessen“?

Nimm ein Beispiel:

Porträt von Prof. Dr. Alexander Thumfart
Foto: Prof. Dr. Alexander Thumfart Foto: © Pressestelle, Universität Erfurt

Am Traualtar genügt ein Wort: „ja“ (oder vielleicht und wenn es ganz dumm läuft „nein“) als Antwort auf die Frage, ob Du den hier Anwesenden V.G. oder die hier Anwesenden S.F. heiraten möchtest. Eine ausführliche Begründung zu geben, warum Du V.G. oder S.F. hier und jetzt heiraten möchtest (oder davonlaufen), ist vor dem Traualtar ganz unangemessen.

Unangemessen ist es aber auch, auf die Frage eines Arztes, wo es denn nun schmerze, nur zu antworten: „Hier“ und gleichzeitig mit dem Finger auf die Stelle zu zeigen. Die Antwort, also das Wort, das zurückgegeben wird, ist nicht falsch. Aber es sagt zu wenig. Damit kann der Arzt kaum etwas anfangen.

Nimm ein anderes Beispiel: Auf die Frage „Wie ist denn das Verhältnis zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem amerikanischen Kongress?“ einfach nur zu antworten: „gut“, ist nicht nur sehr knapp, sondern kann auch ziemlich falsch sein.

Und nimm noch ein Beispiel: Wenn Dich jemand fragt, „Wo ist denn hier der Bahnhof?“, und Du sagst einfach „Dort hinten“ und weist in eine Richtung, kann das zwar wahr sein und kein Wort zu viel, aber auch sehr ungenau und vage. Denn „Dort hinten“ kann „sehr weit weg“ bedeuten.

„Angemessen“ ist also eine ganz komplizierte Sache ... Aber, das stimmt doch gar nicht!

„Angemessen“ ist also ein ganz komplizierter Begriff und auch eine ganz komplizierte Sache.

Aber, das stimmt doch gar nicht! Ich weiß doch, dass ich vor dem Traualtar keine Geschichten zu erzählen habe. Ich weiß doch, dass ich dem Arzt etwas ausführlicher über die Art der Schmerzen erzählen muss. Und ich weiß auch, dass ich dem Fremden den Weg zum Bahnhof vielleicht genauer beschreiben muss. Also weiß ich doch, was es heißt, angemessen zu sprechen.

Stimmt. Du weißt, was man normalerweise sagt und antwortet, welche und wie viele Worte passen. Angemessenheit ist ein sozialer Tatbestand. Wir haben es einfach im gesellschaftlichen Gebrauch gelernt, von Eltern, Freunden, in Büchern, im Fernsehen. Und wer nicht gelernt hat, die Worte angemessen zu verwenden, über den oder die wird gelacht, er oder sie ist peinlich, ein Schwätzer oder sie oder er ist einfach unfair und gemein – oder verlogen.

Genau.

Aber, es gibt so viele Situationen, in die ich kommen kann, und für die ich nicht vorbereitet bin, die mir noch niemand gezeigt hat, die ich noch nie erfahren habe. Eine lustige Rede aus dem Stegreif vor völlig fremden Leuten halten, einen ganz unbekannten, wichtigen Gast begrüßen, einen Heiratsantrag machen, eine ganz bittere Nachricht überbringen, zum Beispiel.

Weil wir nicht wissen, was wir jetzt sagen sollen

Ja, da ist schrecklich, ganz unangenehm, ziemlicher Stress. Weil wir nicht wissen, was wir jetzt sagen sollen, welche und wie viele Worte wir wählen sollen. Da kann vieles unglaublich hölzern klingen, hilflos, peinlich, stammelnd, steif und gar völlig vergaloppiert. Man mag gar nicht daran denken.

Also ist Angemessenheit auch eine Frage von Kunst, Können, Souveränität, von Urteilskraft, von Intuition, Gefühl, von Inspiration, von Glück?

Ich glaube ja.

Es gibt also manchmal Regeln – und es gibt oftmals keine Regeln für den angemessenen, passenden Gebrauch und die angemessene Zahl von Worten. Wir brauchen also unbedingt das „richtige Händchen“, das „sichere Gespür“, um hier und jetzt genau die Worte zu setzen, die passen und die angemessen sind. Manchmal sind es wenige, und manchmal sind es schrecklich viele.

Stimmt.

Aber immer sind es auch die anderen, die mit darüber entscheiden, ob die Worte angemessen waren oder sind.

Eigentlich wahr. Wie viele Worte ich brauche, entscheidest immer auch Du.

Alexander Thumfart

Herr Prof. Dr. Alexander Thumfart
Hochschuldozent
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