Jochen Fasco: Kulturelles Jahresthema der Stadt Erfurt 2014 - Wie viele Worte braucht der Mensch?

04.12.2014 15:16

Das Motto suggeriert, dass man zählen könnte, wie viele Worte der Zuwendung ein Mensch innerhalb eines Zeitfensters oder in einer Situation benötigen würde, beziehungsweise um selbst kommunizieren zu können.

Kulturelles Jahresthema der Stadt Erfurt 2014 - Wie viele Worte braucht der Mensch?

Porträt von Jochen Fasco
Foto: Jochen Fasco, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt Foto: © Thüringer Landesmedienanstalt (TLM)

Rein statistisch gesehen umfasst der deutsche Standardwortschatz 75.000 semantische Einheiten und 16.000 Wörter spricht ein Europäer durchschnittlich am Tag. Doch mit der Menge ist noch nicht viel über die Qualität der Worte gesagt, über deren Informationsgehalt und vor allem deren Wirkung. Die 738.765 deutschen Wörter der Lutherbibel und die 95 Thesen lösten im 16. Jahrhundert sowohl auf der politischen, theologischen als auch auf der linguistischen Ebene ein Beben aus. Die Reformationsbewegung begann als Medienkampagne. Luthers Ideen hätten sich damals ohne das neue Medium Buch nie so massenhaft verbreiten können. Am Anfang des digitalen Zeitalters standen hingegen nur zwei Zeichen und sie veränderten die Medienwelt ebenso nachhaltig wie die Erfindung des Buchdrucks. Heute schreiben Menschen abgeschlossene Stories bei Twitter und benötigen dafür nicht mehr als 140 Zeichen. Diese Text-Häppchen benutzten der amerikanische Präsident und die Demonstranten in Ägypten und Tunesien. Auch das veränderte den Lauf der Geschichte. Unser medialer Alltag im 21. Jahrhundert ließe sich selbst für 24 Stunden nur noch mit gigantischen Zahlen beschreiben. Allein bei WhatsApp werden gegenwärtig 41 Milliarden Nachrichten pro Tag versandt und es gibt noch unzählige andere Kanäle. Die Menge an Informationsdaten, die durch die Printmedien, Radio, Fernsehen und im Internet täglich verbreitet werden, übertrifft alles bisher Dagewesene.

Wie gehen wir mit dieser Flut an Worten und Bildern um? Diese Frage streift verschiedene Arbeitsgebiete der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM). Ich will aber, um die 3.000 Zeichen nicht zu überschreiten, nur zwei exemplarisch herausgreifen. Das Hauptaugenmerk der TLM liegt auf der publizistischen Vielfalt in Thüringen. Um es im Sinne des Jahresthemas auszudrücken: Es geht um möglichst viele Stimmen und Meinungen und um die Frage, wer kommt zu Wort? Denn die Informationsflut bedeutet nicht, dass wir alle wichtigen oder relevanten Botschaften auch erhalten. Die mediale Vielfalt ist heute besonders auf lokaler und regionaler Ebene bedroht und deshalb engagieren wir uns dafür. Die TLM fördert beispielsweise die technischen Übertragungswege bei lokalen Fernsehsendern und die Bürgermedien-Projekte. Regelmäßig führen wir auch Programmanalysen der Thüringer Sender durch und untersuchen dabei den Anteil an beratenden und informierenden Wortbeiträgen sowie die Vielfalt der Berichterstattung. Ein zweiter Schwerpunkt der Arbeit der TLM ist die Medienbildung. Denn nur wer Medienkompetenz besitzt, findet sich in unserer digitalen Welt zurecht und wird in der Flut von Worten und Informationen nicht untergehen. Das Thüringer Medienbildungszentrum mit seinen beiden Standorten in Erfurt und Gera bietet darum handlungsorientierte Medienprojekte für Kinder und Jugendliche an, Aus- und Weiterbildung für Lehrer und Pädagogen sowie Beratung für Eltern und Großeltern. Unsere Medienpädagogen führen zum Beispiel Projektwochen an Thüringer Schulen und Mediencamps durch. Und schon die Kleinen im Kindergarten lernen dabei, mediale Botschaften einzuordnen und besser zu verstehen. Als Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt würde ich das Motto vielleicht etwas anders formulieren wollen: Wie viel Medienkompetenz braucht der Mensch heute? Der Umgang mit dem Medium Wort ist natürlich ein Teil davon.

Jochen Fasco