
Glockenmusik als Kulturerbe: Live-Konzert mit Ulrich Seidel auf dem Erfurter Carillon

Trotz der dringenden Sanierungsarbeiten am Mauerwerk des Erfurter Bartholomäusturms, die nach kürzlichen Abbrüchen an der Westfassade beauftragt wurden, finden die aktuellen Carillon-Konzerte wie geplant statt. Das Amt für Gebäudemanagement hat eine Notsicherung vorgenommen und diese am 11. Juli erfolgreich abgeschlossen. Zudem hat das Spielen der Glocken hat keine Auswirkungen auf Gebäudesubstanz und -sicherheit.
Wie alle Carillon-Konzerte in Erfurt wird auch dieses Konzerterlebnis mit freundlicher Unterstützung der Geschichtsmuseen Erfurt und des Fördervereins des Stadtmuseums Erfurt finanziert. Durch dieses Engagement bleibt der Musikgenuss für alle Zuhörenden kostenfrei.
Zusätzlich zu den vorhandenen Sitzbänken rund um den Bartholomäusturm, wird die Buchhandlung Peterknecht – abhängig vom Fortschritt der aktuellen Bauarbeiten – auch am Anger wieder Stühle als Sitzgelegenheit aufstellen. Wie immer wird das Geschehen in der Spielkabine des Bartholomäusturms auf einem Bildschirm im Schaufenster der Buchhandlung live übertragen. So werden die Zuhörenden auch zu Zuschauenden, was das Musikerlebnis steigert. Das nächste Konzert findet bereits am 9. August 2025 statt.
Das musikalische Programm
- Erfurt '25 – Ulrich Seidel (*1961)
- Spring Morning – Geert D'Hollander (*1965)
- Gute Besserung – Ulrich Seidel (*1961)
- Melody – Geert D'Hollander
- Adagio (aus: Concerto für 2 Mandolinen RV 532) – Antonio Vivaldi (1648 – 1741),
Arr.: U. Seidel - Das alte Schloss (aus: Bilder einer Ausstellung) – Modest P. Mussorgski (1839 – 1881),
Arr.: U. Seidel - Blue Smoke – Trad., Arr.: Elena Sadina
- Childrens Song – Ulli Bögershausen (* 1954), Arr.: U. Seidel
- Wild Honeysuckle Rag – Marta Mier (* 1936), Arr.: Elena Sadina
- Layers - Geert D'Hollander
- Irish Jig – Trad., Arr.: Elena Sadina
- Music for Carillon Nr. 5 – John Cage (1912 - 1992)
Das letzte Werk von John Cage ist eine von lediglich fünf Kompositionen für Carillon. Die Besonderheit: Dieses Werks entstand „zufällig“, da Cage auf fünf Sperrholzplatten Linien zeichnete, die ein Notensystem darstellen. Er sagte dazu: „Immer wenn eine Linie oder ein Zwischenraum die Maserung des Holzes schneidet, sollen die Glocken erklingen“. Music for Carillon Nr. 5 wurde am 18. Februar 1967 veröffentlicht. Ulrich Seidel spielt dieses Werk selten aber sehr gern, da es gewisse Freiheiten in der Interpretation zulässt.
Über den Carillonneur
Der gebürtige Erfurter Ulrich Seidel arbeitet als freier Autor, Musiker und Stadtführer in seiner Heimatstadt. Mit sieben Jahren erhielt er Geigenunterricht, erlernte als Teenager autodidaktisch Gitarre. Ende der 1990er Jahre nahm er Schlagzeug- und Klavierunterricht an der städtischen Musikschule Erfurt.
2007 entdeckte er seine Leidenschaft für das Carillon – eine Begeisterung für das Musizieren mit den großen Glocken, die stetig wuchs. Nachdem er 2010 von Franz Ludwig das offizielle Amt des Erfurter Carillonneurs übernahm, begann er 2012 an der renommierten Königlichen Glockenspielschule „Jef Denyn“ im belgischen Mechelen Carillon zu studieren. Seither spielt er regelmäßig auf dem Carillon im Erfurter Bartholomäusturm und organisiert dort jedes Jahr eine Konzertreihe mit Gastspielen in- und ausländischer Carillonneurinnen und Carillonneure.
Für Ulrich Seidel ist das Carillon nicht nur ein Instrument, sondern immer neue Inspiration und pure Freude. Der Musiker prägt das klangliche Erscheinungsbild Erfurts mit und hält die beeindruckende Tradition des Glockenspiels lebendig – sowohl im alltäglichen Automatikbetrieb als auch durch kontinuierliche Live-Aufführungen. Ziel seines Engagements ist es, die Schönheit und den Klang der Glockenmusik sichtbar zu (er)halten und weiter zu verbreiten. Ebenfalls seit 2010 fördert er die Carillon-Kunst in ganz Deutschland als Vorsitzender des Deutsche Glockenspielvereinigung e. V. und repräsentiert sie international.
Immaterielles Kulturerbe
Zur Freude aller Carillon-Fans gibt es noch eine weitere wissenswerte Neuigkeit:
Am 26. März 2025 hat die Deutsche UNESCO-Kommission die Tradition des Glockengusses und der Glockenmusik als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in das „Bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe“ aufgenommen!
Zusammen vereinen sie handwerkliches Wissen, musikalische Fertigkeiten und tief verwurzelte Traditionen. Die jahrhundertealte Kunstform, die sowohl die Herstellung von Glocken als auch die damit verbundenen musikalischen und rituellen Praktiken umfasst, trägt wesentlich zur kulturellen Identität und Gemeinschaftsbildung bei und ist ein bedeutender Bestandteil des kulturellen Erbes vieler Regionen weltweit. Die Wertschätzung durch die UNESCO ist eine wunderbare Sache, die den Schutz und die Weiterentwicklung dieser einzigartigen Traditionen fördern soll. Weitere Informationen zu dieser klangvollen Kulturform sind auf der Website der UNESCO zu finden.
Zum Erfurter Carillon
Das Carillon im Erfurter Bartholomäusturm gehört seit 1972 zum Stadtmuseum. Mit 60 Bronzeglocken zählt es zu den größeren Instrumenten dieser Art in Deutschland. Die weltweit größten Carillons sind in Kubinka (nahe Moskau, 78 Glocken), Taejon/Südkorea (77 Glocken) und Halle an der Saale (76 Glocken).
1979 entwarf der Apoldaer Glockengießer Peter Schilling das Instrument. Die 60 Glocken wurden im selben Jahr im VEB Glockengießerei Apolda gegossen.
Das Turmglockenspiel verfügt über eine Handspieleinrichtung, ein sogenanntes Stockenklavier. Der Carillonneur (Glockenspieler) sitzt vor diesem und drückt mit geballten Fäusten die Tasten des Stockenklaviers nieder. Je kräftiger er dies tut, desto lauter wird der Klang der Glocke. Der Tastaturaufbau ist einer Klaviertastatur ähnlich, jedoch sind die Abstände der Tasten zueinander wesentlich größer.