Nachruf auf Kulturpreisträger Günter Kreienbrink
„Er gehörte zu Erfurt – denen, die ihn kannten, wird er fehlen“, sagt Oberbürgermeister Andreas Bausewein, der dem Buch- und Papierrestaurator Günter Kreienbrink den Kulturpreis der Stadt Erfurt einst persönlich überreicht hatte. Das war 2007. Kreienbrinks Name stand für Buchrestaurierung, für Sanierung und Konservierung ganzer Bibliotheken – thüringenweit. In Erfurt – der Stadt, die schon seit 1473 als Buchdruckerstadt von sich reden macht – hat er mehr als sieben Jahrzehnte seines Lebens verbracht und zu seiner Lebensaufgabe gefunden.
1987 erstellte er das Schadensgutachten für die kostbare Himmelgartenbibliothek Nordhausen, deren Kernbestand mit zahlreichen Inkunabeln der Zeit zwischen 1450 und 1550 angehört – dem ersten Jahrhundert des mit beweglichen Lettern gedruckten Buchs. Der alte Bestand, zu turbulenten Zeiten im Lauf der Jahrhunderte immer wieder verlagert, war stark geschädigt: Schimmel, Mäuse, Tintenfraß. Die Aufgaben der restauratorischen Schadensbehebung und konservatorischen Schadensbegrenzung begleiteten Kreienbrink durch mehrere Jahrzehnte. Zu seinen „Sorgenkindern“ gehörte auch die Bibliothek des Evangelischen Ministeriums im Erfurter Augustinerkloster. Er restaurierte die Erfurter Universitätsmatrikel des Stadtarchivs aus dem 16. Jahrhundert, die Lutherbibel der Wartburg – und die Handschriften der Erfurter Biblioteca Amploniana, berühmt als die einzige nahezu geschlossen erhaltene Gelehrtenbibliothek des deutschen Mittelalters.
„Kulturelles Leben bewegt sich, genau wie der Mensch, immer auf zwei Beinen: Kontinuität wäre niemals zu haben, wenn zur Entstehung des Neuen nicht auch die Pflege des Überlieferungswürdigen gehört", sagte Kulturdezernent Dr. Tobias Knoblich. Aber zur Bilanz der Lebensleistung Günter Kreienbrinks gehört noch mehr. Nämlich ein praktizierter Lebensmut, der eben diese Bilanz umso eindrucksvoller erscheinen lässt, als sie kaum zu erwarten gewesen war.
Geboren am 27. November 1931 in Karwitz (Kreis Schlawe) in Hinterpommern, wuchs er auf in Groß Tychow, wo sein Vater auf dem Gut der Grafen von Kleist als Gutsverwalter beschäftigt war. Seit seiner schwierigen Geburt, bei der es zu Sauerstoffmangel gekommen war, erschwerten ihm motorische Störungen und spastische Krämpfe das Hineinwachsen in ein „normales“ Leben, die ihn lebenslang begleiteten: die Littlesche Krankheit. Das verlangte ein eigenes Maß an Tapferkeit. Auch an aktivem Glaubensmut, der dem Enkel eines evangelischen Pastos zur hilfreichen Lebensausstattung gehörte und ihm zeitlebens erhalten blieb.
Dann 1945/46: Flucht und Vertreibung. Über Berlin führte der Weg nach Erfurt, wo der Fotograf Adam, ein Verwandter, lebt. Ein Erfurter Schullehrer sprach mit Nachdruck aus, was ihm immer wieder auffiel: „Der Günter gehört in die Bibliothek!“ Bald besuchte der Heranwachsende auch die Werkstatt der Allgemeinbibliothek, damals in der Michaelisstraße 39 (Alte Universität Erfurt). Dort begann er eine Handbuchbinderlehre, die er erfolgreich abschloss, und wurde übernommen. Auf Anregung des befreundeten Günther Müller, Chefrestaurator der Universitätsbibliothek in Jena, studierte der junge Kreienbrink das damals neu etablierte Fach Buchrestaurierung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Damit war die berufliche Ausrichtung und Aufgabe gefunden; später hat Günter Kreienbrink in der von ihm eingerichteten Werkstatt in der Michaelisstraße (heute Sitz des Internationalen Begegnungszentrums der Universität Erfurt) selbst Buchrestauratoren ausgebildet.
Als Restaurator wurde er Mitglied im Verband Bildender Künstler (VBK), war eng befreundet mit Alfred T. Mörstedt, Rolf Lindner und zahlreichen weiteren Erfurter Künstlern, die er am Künstlerstammtisch im Marktcafé in der Marktstraße regelmäßig traf. Kreienbrinks aktiv gepflegte Lust am Teilnehmen, seine Aufgeschlossenheit und Interessiertheit am Leben der anderen, die seine Zugewandtheit gern erwidern, gab nicht nur dem eigenen Leben viel von seiner Farbe. Sein Neffe und Schüler, Buchrestaurator Christian Kreienbrink, erinnert sich: „Mit Günter dauerte es immer lange, wenn wir durch die Stadt gegangen sind. Nicht, weil er langsam gewesen wäre, sondern weil wir andauernd auf Menschen trafen, die ihn kannten und dann einen Schwatz machten.“ Die auch nach dem Rückzug aus dem Arbeitsleben ungebrochene Lebens- und Seelenstärke des gesundheitlich permanent Angefochtenen, der seiner Lebensführung so viel Normalität wie immer möglich zu geben verstand und noch bis ins hohe Alter allein und selbstständig zu leben vermochte, sind ermutigend: Auch dafür gelten ihm Dank und ehrendes Gedenken.