„Unser Nationalsozialismus“ – Veranstaltungsbericht zur Buchvorstellung mit Götz Aly

24.05.2024 08:30

Am Donnerstag, dem 16. Mai, stellte der Historiker und Journalist Götz Aly sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch „Unser Nationalsozialismus. Reden in der deutschen Gegenwart“ vor zahlreichen Interessierten im Erinnerungsort Topf & Söhne vor.

Foto: Götz Aly bei einem Vortrag im Erinnerungsort Topf & Söhne 2022 Foto: © Erinnerungsort Topf & Söhne

Nach der Begrüßung durch Oberkuratorin PD Dr. Annegret Schüle, die den Abend auch moderierte, setzte sich Aly mit der Kernfrage auseinander, die ihn seit Jahrzehnten als Forscher antreibt: Warum wurde dieses nur 12 Jahre herrschende, radikal antisemitische und rassistische NS-Regime in seiner massenvernichtenden Dynamik von der Mehrheit der Deutschen getragen und bis zuletzt unterstützt? Von den verschiedenen Antworten, die er in den zu unterschiedlichen Anlässen formulierten, im Buch versammelten Texte gibt, seien hier nur zwei benannt: Zum einen habe der Mord an Menschen mit Beeinträchtigung, die sog. „Euthanasie“ 1940 „die Moral nach innen“ verändert und damit die Akzeptanz der späteren Vernichtung vorbereitet. Zum anderen haben die nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 stark ansteigenden Massenmorde an sowjetischen Kriegsgefangenen und Jüdinnen und Juden „die Brücken zur Umkehr abgebrochen“. Die NS-Elite habe damals die Angst der Deutschen vor der Rache der Sieger gezielt geschürt. Zu Recht habe Thomas Mann damals in seine Radioreden von dem Zusammenhang von Verbrechen und blindem Durchhaltewillen gesprochen.

Auf die Frage der Moderatorin, was in der deutschen Holocaustforschung erreicht worden sei, bewertete Aly die heutigen Forschungsbedingungen besonders positiv. So seien Archive inzwischen viel besser erschlossen und Dokumente durch Datenbanken im hohen Maße zugänglicher als noch vor 30 Jahren. In erinnerungskultureller Hinsicht warnte er vor einer häufig zu beobachteten Identifikation mit den Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen, über die Täter hingegen werde viel zu wenig gesprochen. Er plädierte dafür, sich der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus individuell über die eigene Familiengeschichte zu nähern.