Jörg Lummitsch beantwortet Fragen zum Baumschutz

28.10.2022 09:29

Ende September hat der Erfurter Stadtrat die Selbstverpflichtungserklärung zum Baumschutz einstimmig beschlossen. Große städtische Planungen müssen zukünftig ein Baumschutzkonzept aufweisen, Baumaßnahmen selbst müssen durch qualifizierte Baumfachleute begleitet werden. Werden Bäume gefällt, sollen die Nachpflanzungen innerhalb von zwei Jahren und im näheren Umfeld erfolgen. Auch ein öffentlich einsehbares Baumkataster soll innerhalb der nächsten zwei Jahre entstehen. Vorausgegangen ist der Erklärung eine breite Bürgerbeteiligung. Das Ergebnis ist für die Verwaltung Ansporn und Herausforderung zugleich. Jörg Lummitsch, Leiter des Umwelt- und Naturschutzamtes der Stadt Erfurt, gibt dazu einen Einblick.

Jörg Lummitsch beantwortet Fragen zum Baumschutz

Leiter des Umwelt- und Naturschutzamtes spricht über Selbstverpflichtungserklärung zum Baumschutz

Video: Interview mit Jörg Lummitsch zur Selbstverpflichtungserklärung zum Baumschutz © Stadtverwaltung Erfurt

 1. Erfurt hat seit vielen Jahren eine Baumschutzsatzung. Braucht es da ein weiteres Papier?

Das Thema Selbstverpflichtungserklärung ist ja aus dem Prozess heraus entstanden, insbesondere weil es viele Diskussionen gab – in der Öffentlichkeit, mit Bürgerinitiativen, mit Vereinen, mit Verbänden – zu der Frage: Wie gehen wir in der Stadt mit dem Baumschutz um?

Ich glaube, man muss zwei Sachen unterscheiden. Das eine ist die Baumschutzsatzung, also eine sehr formale Geschichte, die letztendlich auch an einen engen Rechtsrahmen gebunden ist. Das andere ist das Thema: Wie gehen wir in dem Bereich mit dem Baumschutz um, wo wir auch einen eigenen Verantwortungsspielraum haben? Deswegen ist es, glaube ich, ein wichtiger Punkt, sich auch mit dem Thema Selbstverpflichtungserklärung auseinanderzusetzen.

2. Warum ist der Erhalt des vorhandenen Baumbestands so wichtig? Kann man nicht neue, klimastabile Arten nachpflanzen?

Bäume sind die wichtigste natürliche Klimaanlage, die wir haben. Deswegen ist der Erhalt von Bestand besonders wichtig. Das Problem, das wir im Moment haben: Wir hatten in den letzten Jahren sehr, sehr heiße Jahre, eine überhitzte Stadt. Unter diesen Bedingungen leiden nicht nur die Menschen in der Stadt, sondern auch die Bäume.

3. Reicht es nicht, Sträucher oder Grünflächen zu etablieren, kombiniert mit Fassaden- und Dachbegrünungen?

Bäume sind unsere wichtigste Klimaanlage, auch vor dem Hintergrund, dass sie ein großes Grünvolumen haben und entsprechend verdunsten. Deswegen haben sie auch eine besondere Funktion in der Stadt. Diese Funktion in diesem Umfang können andere Begrünungen alleine nicht kompensieren.

Gebäudegrün oder Strauchpflanzungen sind sicher eine wertvolle und wichtige Ergänzung zu den Baumpflanzungen, aber das Grundgerüst wird letztendlich durch den Baumbestand dargestellt.

4. Innerstädtisch gibt es kaum Standorte für Baumpflanzungen. Wie können dennoch Nachpflanzungen im Umfeld erfolgen?

Das ist ein ganz schwieriges Thema, eigentlich in allen Kommunen, denn wir reden zum Schluss über die Frage: Wo setzen wir die Prioritäten für den öffentlichen Raum, den wir zur Verfügung stehen haben? Da werden wir auch in den nächsten Jahren sehr intensive Diskussionen führen.

Wir haben zum einen sicher Möglichkeiten, wo wir uns öffentliche Bereiche wie zum Beispiel Schulhöfe noch einmal anschauen müssen, wo dann letztendlich Optionen sind, auch noch Bäume zu pflanzen. Das ist sicher mit Schwierigkeiten verbunden. Wir haben häufig hoch versiegelte Flächen, wir haben Leitungsbestände etc., wo es schwieriger ist, Bäume zu integrieren.

Und die andere Frage ist: Wie gehen wir mit dem öffentlichen Straßenraum um? Dort müssen wir uns das auch noch einmal neu anschauen. Da stehen Bäume dann auch in Konkurrenz zu anderen Funktionen. Das muss öffentlich diskutiert werden.

Wir haben einen relativ hohen Bestand an Infrastruktur: Strom, Wasser, Abwasser, Telekommunikation, zum Teil verschiedene Telekommunikationsanbieter, Fernwärme. Das ist ein schwieriges Thema. Wir haben Sachen, die im Fußweg liegen, den Fußweg queren und zum großen Teil sogar unter den Bäumen unter den Baumwurzeln liegen. Die wurden da irgendwann in den 90er Jahren durchgeschossen.

Bisher war es so, dass diese Baumgruben, um neu zu pflanzen, mit dem Bagger ausgehoben worden sind und natürlich im Konflikt standen zu dem, was da an Leitungen war. Handschachtungen mit all diesen Schwierigkeiten und Risiken waren ein Thema.

Vor wenigen Jahren ist erstmals eine neue Technologie eingesetzt wurden, als die Marktstraße neu gemacht worden ist. Das Tiefbauamt hat Saugbagger getestet. Wir haben neuen Bestand an unterirdischen Erschließungsmaßnahmen, wir haben alte Sachen, die ausgetauscht werden müssen. Wir wollten schauen: Wie kommen wir da möglichst konfliktfrei durch?

Man hat Saugbagger eingesetzt und festgestellt, es ist eine wunderbare Geschichte. Sie funktionieren wie ein riesiger Staubsauger, holen Erde und Stein aus dem Boden. Zum Schluss hängen irgendwo die Kabel in der Luft. Da passiert erst mal nichts, die kann man erhalten. Wir wollten dann mit diesem Thema bei Baumpflanzungen einsteigen und haben es in der Oststadt intensiv getestet.

Der zweite Teil ist die Frage: Habe ich dann trotzdem schon genügend Platz, ein so großes Volumen herzustellen, um auch dauerhaft für die Bäume entsprechend Wurzel- und Lebensraum zu sichern? Das ist ein Punkt, den wir noch einmal anschauen und diskutieren müssen.

Ich glaube auch, dass das ein Prozess ist, wo man sich aufeinander zubewegt. Das eine ist, dass man sagt: Okay, es ist natürlich optimal, wenn wir die 20 m² haben, mindestens die 12 m³. Auf der anderen Seite steht sicher die Frage: Mit welchen Baumarten gehe ich da rein? Und da gibt es dann irgendwo auch Sachen oder Kompromisse, an denen man sich annähert. Das ist ein Thema, wo wir als Stadt auch noch Erfahrungen sammeln müssen.

5. Aktuell sind 8.000 Pflanzungen offen, 2.000 Bäume sollen in diesem Winter aus Verkehrssicherungsgründen gefällt werden. Sind da zwei Jahre zur Nachpflanzung realistisch?

Ich denke, da müssen wir noch mal trennen zwischen der Frage, welchen Rucksack wir aus den vergangenen Jahren mitschleppen, und der Frage: Wie gehen wir zukünftig damit um?

Ein Problem ist, dass es letztendlich auch an personellen Ressourcen fehlt. Es ist dringend notwendig, dass diese personellen Ressourcen gestärkt werden, um Baumpflanzungen zeitnah umzusetzen. Denn es ist ein riesiger Aufwand, der dort entsteht. Das sind Bestandsabfragen, was Leitungen betrifft, es muss sozusagen öffentlich ausgelegt werden, es sind bestimmte Sachen zu klären und das bedarf bestimmter personeller Ressourcen. Die brauchen wir an der Stelle.

6. Kann die Selbstverpflichtungserklärung so einfach umgesetzt werden oder steht die Verwaltung vor großen Herausforderungen?

Ja, es ist eine große Herausforderung. Zum einen werden wir insbesondere bei Baumaßnahmen stärker darauf achten, zukünftig Bäume zu erhalten und dort auch insbesondere den Baumschutz vorantreiben. Das heißt, es wird gutachterlich begleitet, um möglichst wenige Schäden am vorhandenen Baumbestand zu haben.

Das andere Thema, über das wir auch zukünftig reden müssen, ist, dass die Kosten für die Anpflanzung insgesamt natürlich erheblich steigen. Wenn wir langfristig Baumbestand erhalten wollen, brauchen wir einfach größere Wurzelräume für viele Baumarten.

Es gibt unterschiedliche Empfehlungen. Man geht mindestens von zwölf Kubikmetern aus, die wir heute brauchen. Andere Empfehlungen gehen bis zu 20 Kubikmeter hoch, um Bäume auch in Zeiten des Klimawandels langfristig zu stabilisieren und wachsen zu lassen. Das treibt natürlich auch die Kosten erheblich hoch. Wir verbauen jetzt schon unter der Erde mehr als das, was die Baumpflanzung als solches kostet. Es gab ein Pilotprojekt im Rahmen des Projektes Heat Resilient City. Da sind die Baukosten oder Baumkosten auf über 5.000 Euro pro Baum gestiegen. 80 % davon sind dort verbaut wurden, wo wir das oberirdisch nicht sehen.

7. Ein öffentliches Baumkataster soll geschaffen werden. Geht das so einfach mit Datenschutz & Co.?

Beim öffentlichen Baumkataster werden wir im Wesentlichen über öffentliche Bäume reden. Wir haben sehr unterschiedliche Eigentumsverhältnisse. Wir haben einmal die städtischen Bäume. Da wird es auch ein Baumkataster geben können, ohne dass wir Datenschutzprobleme bekommen.

Wir haben teilöffentliche Bereiche, da, wo zum Beispiel große Wohnungsgesellschaften Eigentümer von Grundstücken und Bäumen sind, die aber allgemein öffentlich zugänglich sind. Dann haben wir natürlich auch den großen Teil an privaten Bäumen, die wir dort haben, und Bäume auf Privatgrundstücken. Das muss man sich im Detail anschauen, aber ich denke, wir werden mit den öffentlichen Bäumen starten.

8. Zur Umsetzung der Erklärung soll regelmäßig berichtet werden. Wer kontrolliert denn die Einhaltung der einzelnen Vorgaben?

Wir berichten auch im Ausschuss seit vielen Jahren über Baumfällungen. Wir wollen schon eine entsprechende Transparenz haben. Es wird ein Prozess sein, den Teil stückweise zu erweitern und auszubauen.

9. Können Sie einen Ausblick geben, welche Chancen neu gepflanzte Bäume zukünftig haben?

Wir haben aktuelle Untersuchungen, auch vom Umweltforschungszentrum in Leipzig, die für das Thüringer Becken konkrete Vorhersagen machen. Da geht man davon aus, wenn wir es schaffen, die 1,5 Grad einzuhalten, sogar bis Richtung 2,5 Grad, wird die Wassermenge, die wir hier im Thüringer Becken zu erwarten haben, über das Jahr ungefähr gleich bleiben. Das sind die Prognosen bis zum Jahr 2100, also die Prognosen für die Generation, die jetzt geboren wird. Allerdings gibt es eine extreme Verschiebung.

Der Großteil der Niederschläge wird nicht mehr in der Vegetationsperiode fallen, sondern im Winterhalbjahr. Das heißt, wir brauchen Baumarten, die mit solchen Trockenphasen in der Vegetationsperiode klarkommen, die tiefwurzelnd sind, etc. Diese Sachen hat man sich im Rahmen des Sikef-Projektes angeschaut, wo man auch auf Baumarten zurückgegriffen hat, die typischerweise in der Aue wachsen. Das ist offensichtlich erstmal ein Widerspruch. Aber auch in der Aue sind Baumarten heimisch, die auf der einen Seite mit Hochwasser, mit Extremwasser klarkommen und zum anderen auch im Sommerhalbjahr auf einer Kiesbank relativ lange trocken stehen.

Das heißt, es werden sich auch Baumarten für die Stadt etablieren, die mit solchen Extremen relativ gut klarkommen. Und wir haben natürlich auch die andere Seite. Wir haben zwar eine Erwärmung des Klimas als solches und höhere Temperaturen, aber das heißt nicht, dass wir im Winter nicht trotzdem Frostphasen haben. Die Dattelpalme wird also wahrscheinlich auch in Zukunft nicht wirklich gute Überlebenschancen haben in Erfurt.

Spannend für mich ist zum Beispiel der Götterbaum. Der Götterbaum ist eine invasive Baumart, er steht auf der EU-Liste der invasiven Pflanzen, das heißt, er darf nicht gepflanzt werden. Wenn wir uns im Moment aber anschauen, welche Bäume am besten im Stadtgebiet klarkommen, dann ist es einer dieser Bäume, die sich im Moment durchsetzen, auch unter diesen extremen Bedingungen, und die augenscheinlich mit sehr wenig Wurzelraum klarkommen und trotzdem ein Wuchsverhalten an den Tag legen.

Das heißt, wir müssen uns anschauen, welche anderen Baumarten ein ähnliches Verhalten haben, und dann immer die entsprechende Lösung suchen. Aber das ist ein Prozess, wo wir einfach Erfahrungen auch sammeln müssen als Kommune. Das ist ein Prozess, wo man dann die entsprechende Frauen- oder Manpower reinlegen und auch zur Verfügung haben muss. Ich glaube, das ist letztendlich ein ganz wichtiges Thema, wo man auch in der Verwaltung Prioritäten setzen muss.