Prozessbeispiele aus dem Arbeitsalltag des ASD
Gespräch im Amt – Antrag auf Eingliederungshilfe
Zur Arbeit im ASD gehören auch regelmäßige Gespräche mit Klienten während und außerhalb der Sprechzeiten im Jugendamt. In diesem Falle ist es ein Dienstagnachmittag, angekündigt sind die getrenntlebenden Eltern eines Jungen. Die Mutter hat beim Jugendamt einen Antrag auf Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII gestellt. Diese umfasst Leistungen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Der Sohn ist ein durchschnittlicher Schüler, bei dem ab der 7. Klasse mangelhaftes Rechnen und Schreiben erstmals richtig auffiel. Entsprechend wurde mittels Diagnostik eine Lese-Rechtschreib-Schwäche festgestellt, der nun begegnet werden soll. Der Sohn lebt bei der Mutter und nimmt bereits Nachhilfe bei einem Institut und privat bei einer Studentin. Die Diagnose war laut Mutter aber auch erleichternd, weil das Kind dadurch verstanden hat, dass es „nicht dumm ist“. Offen ist aber noch, inwiefern sich das Störungsbild auf den Lebensalltag bzw. die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben des Kindes auswirkt.
Aus der Schule erhält das Kind nach der Diagnose Unterstützung, der Mutter war es aber wichtig, dass ihr Sohn weiter benotet wird, wie auch seine Mitschüler. Aber Textaufgaben werden für das Kind bspw. einfacher formuliert und er hat laut aktuellem Förderplan 20 Prozent mehr Zeit seine Aufgaben zu erfüllen. Der Junge erfahre glücklicherweise keine Stigmatisierung durch Mitschüler. Das liege, so die Mutter, aber auch daran, dass es in der Schule mehrere Kinder mit Förderbedarf gibt.
Die Mutter zahlt die Nachhilfen privat. Das gehe ins Geld, weshalb sie auf finanzielle Hilfe vom Jugendamt hoffe. Aus diesem Grund stellte die Mutter den Antrag auf Eingliederungshilfe. Nachhilfeleistungen aber, könne dieser nicht abdecken, so die Mitarbeiterin des ASD. Lobend erwähnt wurde das Engagement der Mutter, die eifrig mit ihrem Sohn paukt, um dessen schulische Leistungen zu verbessern. Diesen Einsatz würdigte auch der Kindsvater, dessen Kontakt zum Sohn sich auf Treffen bei der Urgroßmutter des Vaters. Der Vater lobte aber auch den Einsatz seiner früheren Partnerin und nannte sie eine „gute Mutter“.
Teil des Gespräches war auch eine Einschätzung der Fähigkeiten des Kindes. Demnach hat der Junge eine gute räumliche Orientierung und reist auch oft allein zur Oma in die andere Stadt. Wenn Probleme auftreten, hat er aber Hemmungen andere um Hilfe zu bitten und ruft dann stets die Mutter an. Zur Stärkung seiner Sozialkompetenz und für mehr Bewegung hat das Kind auch eine Schiedsrichterausbildung gemacht.
Mit einem Hausbesuch will sich die ASD-Mitarbeiterin nun in Ergänzung zum Gespräch eigene Eindrücke verschaffen.
Fallbesprechung im Kollegenkreis
Nach und nach betreten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) den Raum. Auch eine externe Teilnehmerin nimmt Platz. Es beginnen die jeweils 45-minütigen Fallberatungen, um über die Fortführung von bestehenden Hilfen zu sprechen und in speziellen Verfahren Risiken für das Kindeswohl einzuschätzen. Dabei stützen sich die Beteiligten in der Beurteilung von Kinderschutzfragen auf ein Farbensystem, das die Einordnung von Fällen veranschaulicht. Die Farbskala reicht vom blauen, über den grünen, grauen und gelben bis hin zum roten Bereich. Blau bedeutet, dass alles okay ist. Im roten Bereich herrscht akuter Handlungsbedarf und das Kind muss zum Schutz vor unmittelbarer Gefahr in Obhut genommen werden. Dazwischen gibt es verschiedene Level von Handlungsbedarf. Im grünen Bereich besteht Beratungs- und eventuell auch Unterstützungsbedarf. Eine Kindeswohlgefährdung liegt aber nicht vor und die Nutzung von Hilfsangeboten ist freiwillig. Im Graubereich gibt es dann Anhaltspunkte für eine Kinderwohlgefährdung und Eltern sind verpflichtet, Vereinbarungen über geeignete Schritte mitzutragen. Im gelben Bereich schließlich sind bereits Schädigungen des Kindes eingetreten und das Jugendamt erarbeitet Auflagen, die erfüllt werden müssen, um das Wohl des Kindes sicherzustellen. Sind Eltern nicht bereit, sich auf derartige Vereinbarungen einzulassen, ist der ASD verpflichtet, das Familiengericht einzubinden.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ASD besprechen an diesem Tag den Fall eines zweijährigen Jungen, dessen Mutter eine diagnostizierte Borderline-Störung und eine Drogenvergangenheit mit Alkohol und Crystal Meth – inklusive mehrerer Rückfälle – hat. Die Beziehung der Mutter zum Kindsvater ist schwierig und von Gewaltausbrüchen des Mannes geprägt. Die Frau musste deshalb zusammen mit dem Sohn auch schon zeitweise ins Erfurter Frauenhaus umziehen. Nach der freiwilligen Rückkehr nach Erfurt nutzte die Mutter auf eigenen Wunsch Familienhilfe und konnte sich stabilisieren, wie die zuständige Familienhelferin berichtete. Eine zwischenzeitliche Annäherung an den Kindesvater endete erneut mit körperlicher Gewalt, weshalb Frau und Kind in ein Frauenhaus in einer anderen Stadt umziehen mussten. Weil die Frau aber tags zuvor Drogen nahm, konnte nicht in einer Mutter-Kind-Einrichtung aufgenommen werden. Aus diesem Grund kehrte sie ins Erfurter Frauenhaus zurück und wird engmaschig durch eine Familienhelferin betreut, um ihre Stabilisierung zu unterstützen. Trotz all dieser Umstände verhält sich die Mutter ihrem Kind gegenüber liebevoll, aber versteht noch nicht ganz, dass ihre Lebensumstände die Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes bedingen.
Die Frau nimmt Hilfe zur Bewältigung ihrer Drogenabhängigkeit an und das Kind besucht eine Erfurter Kita. Dort entwickelt es sich altersgemäß, soll aber Frühförderung erhalten. Es stellte sich auch die Frage nach sozialen Ressourcen für die Frau, also nach Menschen, die sie bei der Kindesbetreuung, vor allem am Wochenende, entlasten könnten. Da der Kontakt zu den Eltern der Mutter und zum Kindsvater aber gänzlich abgebrochen war, stand dafür nur noch die Oma der Mutter zur Verfügung, die aber in einer anderen Stadt lebt.
Letztlich waren sich die Fachkräfte einig, dass die Hilfe fortgesetzt werden soll. Die Stabilisierung der Frau erscheint noch nicht nachhaltig, weshalb zum aktuellen Zeitpunkt weiter ein Risiko für die Beeinträchtigung ihrer Erziehungsfähigkeit und der Entwicklung des Kindes eingeschätzt wird, wenn die Frau keine weitere Unterstützung erfährt.
Netzwerktreffen in einer Schule
Es ist ein Netzwerktreffen, um den Hilfeplan für einen Jungen zu besprechen. Dieses findet in seiner Schule statt, weil diese ein wesentlicher Ort für dessen Entwicklung ist.
Zu dem Netzwerktreffen sind die zuständige Sozialarbeiterin des Jugendamtes, die Klassenlehrerin, die zuständige Erzieherin, die Betreuer einer Wohngruppe und die Mutter des Kindes erschienen. Der Junge war seit dem fünften Lebensjahr auffällig wegen der Verwendung von sexualisierter und fäkaler Sprache sowie sehr aggressiven Verhaltensweisen. Es besteht eine diagnostizierte ADHS-Erkrankung des Jungen und eine Bindungsstörung zur Mutter. Jedoch ist die Mutter sehr kooperativ und offen für Empfehlungen des Jugendamtes für verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten.
Der Junge gilt als interessiert und freundlich, gerät aber durch sein abfälliges Vokabular oft ins Abseits. Mithilfe einer Wohngruppe und regelmäßigen Besuchen eines Entwicklungsinstituts soll ein stabiles Umfeld für das Kind geschaffen werden und seine sozialen Kompetenzen und das Einfühlungsvermögen verbessert werden. Mit Unterstützung aller Beteiligten nimmt das Kind die vermittelten Angebote wahr und erzielt dadurch auch immer wieder kleine Erfolge. Diese werden dann aber durch emotionale Ausbrüche wieder zurückgeworfen.
In der Gruppe werden mit der Mutter zusammen erzielt, Erfolge und Rückschläge ermittelt und mögliche Folgen daraus besprochen. Die Mutter zeigt sich sehr offen für die Vorschläge und bedankt für die zahlreichen Hilfestellungen. Schnell wird klar, dass das Netzwerk einwandfrei funktioniert. Wäre dem nicht so, könnten die umfangreichen Hilfen nicht die Fortschritte für den Jungen erreichen, die derzeit zu verzeichnen sind. Die Gruppe war sich nämlich einig, dass das Sozialverhalten des Jungen insgesamt besser geworden ist, auch weil er in seiner Klassenlehrerin eine starke Stütze gefunden hat.
Es handelt sich hierbei um einen zusammenfassenden Text, der an verschiedenen Tagen mit unterschiedlichen Protagonisten spielt. Zur Gewährung des Datenschutzes werden handelnde Personen ausschließlich anonym genannt, beziehungsweise beschrieben.